273 Seiten PUK-Bericht. 63 Seiten Bericht zur Administrativuntersuchung. Zwei Medienkonferenzen. Eine Parlamentsdebatte. Eine Vielzahl von Artikeln, Sendungen, Einschätzungen und Interviews in den Medien. Und am Schluss bleibt die Frage: Habe ich jetzt den Überblick über das, was Whistleblower Adam Quadroni passiert ist? Kann ich mir losgelöst von Emotionen und – zumindest im Unterbewusstsein vorhandenen Vorurteilen – eine Meinung bilden statt sie einfach zu haben? Und wird meine zentrale Frage, nämlich die nach dem «Warum» beantwortet?
Wenn ich auf die einfache Schwarzweissmalerei setze, dann ja. Der Kleinbauunternehmer Adam Quadroni tritt aus dem Baukartell aus, dem er zuvor selbst angehörte. Er wird zum Whistleblower, lässt die Preisabsprachen auffliegen, sein schleichender Niedergang als Unternehmer und Privatperson beginnt. Er wird unter fragwürdigen Umständen als «gewaltbereite» Person eingestuft, in Wildwestmanier verhaftet, gefesselt und mit verbundenen Augen in die Psychiatrie verfrachtet. Dort nach vier Tagen wieder entlassen. Und das mit dem Segen von Führungsverantwortlichen. Die entweder nicht hinschauen oder alles abnicken, was einige, offensichtlich zu wenig geschulte Akteure entscheiden.

Was wäre wenn?
So steht es im PUK-Bericht, so steht es im Bericht zur Administrativuntersuchung der Regierung. Eine Sauerei, ohne Zweifel. Nur, in den Berichten steht eben noch viel mehr. Die Beschuldigten wehren sich über ihre Anwälte. Machen geltend, dass es rückblickend immer einfach ist, Entscheide in Frage zu stellen. Entscheide, die oft aus einer hochemotionalen Situation getroffen werden müssen, die nicht in Ruhe abgewogen und diskutiert werden können. Und da stellt sich dann rasch eine zwar hypothetische, aber wichtige Frage: Was wäre wenn? Was wäre, wenn es zum befürchteten erweiterten Suizid gekommen wäre? Wären dann die Entscheidungsträger nicht an der Pranger gestellt worden, weil sie nichts oder zu wenig unternommen haben? Die Frage kann in diesem konkreten Fall zum Glück offen bleiben.

Die Frage des Gewissens
Adam Quadroni wurde in den letzten Tagen oft und unwidersprochen als «schwieriger» Mensch bezeichnet. Weil er über ein ausgeprägtes Rechtsempfinden verfüge, steht beispielsweise im Bericht zur Administrativuntersuchung. Eine seltsame Einschätzung. Ist es das Gewissen, welches einen Menschen zum Whistleblower werden lässt? Das Gewissen, welches befähigt, Recht und Unrecht unterscheiden zu können. Das Gewissen hat Quadroni ermahnt, das Kartell auffliegen zu lassen, weil er wusste, dass hier Unrecht geschieht. Darum die Frage: Ist es nicht unser Umgang mit solchen Menschen, der schwierig ist? Die Neigung zu raschen Lösungen kommen zu wollen statt zu einer vertieften Auseinandersetzung?

Keine Entschuldigung
In den Berichten steht es schwarz auf weiss, und die Regierung bestätigt es : Es sind gravierende Fehler gemacht worden. Rechtsstaatliche Prinzipien wurden geritzt oder verletzt. Adam Quadroni wurde Unrecht getan. Dieser Adam Quadroni sass am Montag auf der Pressetribüne. Mit Blickkontakt zur Regierung und zu einem Teil des Parlaments. Wie wohltuend wäre es gewesen, wenn sich jemand aus dem Fünfergremium entschuldigt hätte. Vielleicht sind es rechtliche Bedenken angesichts noch laufender Verfahren, die das nicht zulassen. Wäre es aber nicht angebracht gewesen, Intuition vor rechtliche Befürchtungen zu stellen und zumindest für die Punkte geradezustehen, die belegt und anerkannt sind? Jemandem, dem Unrecht angetan worden ist, moralisch zu rehabilitieren, so weit das möglich ist? Doch. Aber diese Chance hat die Regierung verpasst.
Zum Glück gibt es in diesem traurigen Fall auch Hoffnung. Hoffnung nämlich, dass zumindest die Regierung die Lehren gezogen hat. Sie hat anlässlich der Grossratsdebatte überzeugend dargelegt, dass sie investiert. In die Strukturen, in die Aus- und Weiterbildung, in persönliche Gespräche mit den Führungskräften. Und sie hat unmissverständlich gesagt, dass sie auch kontrolliert und, falls nötig, sanktioniert.
Das gefällt auch dem Parlament, wie in der sachlich geführten Debatte zu hören war. Alle fordern Handeln. «Umgehend», «dringend», «schnellstmöglich», «vertieft», «entschlossen», «umfassend», «konsequent». Operative Hektik lässt auf rasche Lösungen hoffen. Und überdeckt, dass das Problem vermutlich viel tiefer liegt. Raschen Antworten ist immer zu misstrauen. Der Text stellt viele Fragen. Gewollt. Und mit dem Eingeständnis des Scheiterns, überall plausible Antworten darauf gefunden zu haben.

Autor: Reto Stifel

reto.stifel@engadinerpost.ch