Als seien die Umstände rund um das Coronavirus nicht schon Herausforderung genug, ist die strategische Ebene der Engadin St. Moritz Tourismus AG (ESTM AG) seit letztem September, auch durch den Abgang von Gerhard Walter als CEO, vor allem mit sich selbst beschäftigt. Der ESTM-Verwaltungsrat wird sein Mandat auf die kommende Generalversammlung am 16. April niederlegen. Wenn es nach einer von den Aktionären (Gemeinden der Region Maloja) eingesetzten Arbeitsgruppe geht, soll bereits an diesem Tag der Verwaltungsrat zumindest teilweise wieder besetzt werden. Um das strategische Führungsgremium zu öffnen, ist eine Statutenänderung geplant. Diese hat im Wesentlichen zum Ziel, das Vorschlagsrecht, welches bisher den Leistungsträgern in der Region zustand, für alle zu öffnen. Ob es an der GV tatsächlich zu dieser Statutenänderung kommt, muss nach heutigem Wissensstand bezweifelt werden. Nicht nur die Bergbahnen, die Hotellerie, die Parahotellerie sowie Handel und Gewerbe setzen sich dagegen zur Wehr, auch bei einem Teil der Aktionäre stösst der Plan auf Ablehnung.

Leistungsträger geeint
Nachdem eine erste Vernehmlassungsrunde nur für die Leistungsträger und die Aktionäre bestimmt war, hat die Arbeitsgruppe am 26. Februar das öffentliche Mitwirkungsverfahren eröffnet, dieses läuft heute Dienstag ab. Die Leistungsträger hatten sich bereits im ersten Umgang sehr kritisch geäussert. Damals allerdings wurden die Stellungnahmen noch einzeln eingereicht. Mit der gleichen Stossrichtung zwar, aber mit kleinen Abweichungen in der Argumentation (die EP/PL hat zu diesem ersten Mitwirkungsverfahren mehrfach berichtet). Das neuerliche Schreiben, welches vom letzten Mittwoch datiert, ist nun von insgesamt 18 Personen unterzeichnet, welche die Hoteliervereine und Bergbahnen des Oberengadins ebenso vertreten wie die Vorstände der Handels- und Gewerbevereine der Region und die Interessensgruppe Parahotellerie.

Die Frage des Vorschlagsrechts
An Kritik zum Vorgehen der Arbeitsgruppe – welche aus den Gemeindepräsidenten von St. Moritz, Silvaplana, Sils, Celerina und Zuoz besteht – wird nicht gespart. «Die unterzeichneten Leistungsträger sind enttäuscht, wie die Arbeitsgruppe mit ihren Vernehmlassungseingaben verfahren ist», heisst es einleitend. Weder habe sich die Arbeitsgruppe zur politischen Legitimation geäussert noch habe sie plausibel dargelegt, weshalb die Leistungsträger in ihrem Vorschlagsrecht beschnitten werden sollen. Das werde man nicht stillschweigend hinnehmen, heisst es weiter. Vielmehr überlege man sich die politischen Rechte, wie eine Initiative oder eine Motion wahrzunehmen, um das «eigenmächtige und demokratisch nicht legitimierte Vorgehen zu unterbinden». Auch prüfe man Schritte zur Anfechtung eines allfälligen Entscheides bis hin zu einer Beschwerde beim Kanton.

Mitwirkung eine Alibi-Übung?
Dass das bisher auf die Leistungsträger eingeschränkte Vorschlagsrecht für die Besetzung des ESTM-Verwaltungsrates neu umfassend gestaltet werden soll, töne zwar gut, sei aber letztlich ein politisches «Buaba-Trickli.» Mit der neuen Formulierung sei das Vorschlagsrecht faktisch keines mehr, weil nun alle legitimiert seien, Wahlvorschläge zuhanden der Generalversammlung der Aktionäre einzureichen.
Die Bergbahnen, die Beherberger und Handel und Gewerbe vermuten, dass die Vernehmlassung nur ein notwendiges Übel war und die Arbeitsgruppe von Anfang an wusste, wohin die Reise geht. Um diese Aussage im Schreiben zu untermauern, wurde eine Aktennotiz einer Besprechung zwischen Vertretern der Aktionäre und des Verwaltungsrates vom 21. Januar beigelegt, welche diese These untermauern soll.

Keine Statutenänderung
Die Leistungsträger lehnen in ihrem Mitwirkungsschreiben die geplante Statutenänderung ab. «Das ursprüngliche von den Stimmberechtigten der Region Maloja genehmigte Konzept für die ESTM AG ist von politischen Entscheidungsträgern, Gemeindepräsidenten und Gemeindevorständen vollumfänglich zu respektieren», heisst es. Zudem wird gefordert, einen Übergangs-Verwaltungsrat für ein Jahr zu bestimmen, mit der Evaluation der Nachfolge von Gerhard Walter bis zum Frühjahr 2021 zuzuwarten und ebenfalls in einem Jahr sämtliche Arbeiten in Zusammenhang mit der Überprüfung des Leistungsauftrages und den Strukturanpassungen zu erledigen.
Dem Terminplan der Arbeitsgruppe folgend, sollen die verschiedenen Eingaben des Mitwirkungsverfahrens gesichtet und anlässlich eines Aktionärs-Meetings am Donnerstag zu einem Mitwirkungsbericht zusammengefasst werden. Anschliessend soll mit der Suche nach neuen Verwaltungsräten gestartet werden.

Wie weit gehen die Kompetenzen der Aktionäre?
Im Zusammenhang mit der geplanten Statutenänderung haben vor allem die Leistungsträger die Frage aufgeworfen, ob die Gemeinden als Aktionäre der ESTM AG überhaupt legitimiert sind, die geplante Statutenänderung an der Generalversammlung vom 16. April in alleiniger Kompetenz zu beschliessen. Die Leistungsträger stellen sich auf den Standpunkt, dass ein solcher Entscheid wieder vor den Souverän (Gemeindeversammlung oder Urnenabstimmung) kommen müsse. So, wie das bei der Gründung der Engadin St. Moritz Tourismus AG 2016 bereits der Fall war. Ein Blick auf die damaligen Abstimmungsunterlagen zeigt, dass die Eckpunkte des ESTM-Konzeptes unter anderem mit der Besetzung des Verwaltungsrates definiert wurden. Dort steht, dass fünf der sieben VR-Sitze durch die Leistungsträger vorgeschlagen werden. «Der Verwaltungsrat soll mehrheitlich von Personen besetzt sein, die die Leistungsträger direkt repräsentieren und auch ein aktuelles Verständnis für die Tourismuswirtschaft und die Situation im Engadin haben», heisst es beispielsweise. Werde nun die Besetzung des VR mit der geplanten Statutenänderung geändert und das Vorschlagsrecht der Leistungsträger beschnitten, untergrabe dies das von den Stimmbürgern genehmigte Konzept und widerspreche dem Willen des Souveräns, argumentieren die Leistungsträger.
Verbindlich geregelt ist die Zusammensetzung des VR in den Statuten, diese lagen der Abstimmungsbotschaft damals als Beilage bei. Einzelne Aktionäre vertreten die Meinung, dass die Statuten nicht Bestandteil der Abstimmungsvorlage waren. Auf die Frage einer aus dem St. Moritzer Gemeinderat kommenden Stimme Ende Februar sagte Gemeindepräsident Christian Jott Jenny als Vorsitzender, dass die Arbeitsgruppe der Ansicht sei, dass die Kompetenz für eine Statutenänderung bei den Gemeinden als Aktionäre liege.

Autor: Reto Stifel

Foto: Daniel Zaugg