Am 4. Dezember hat SRF 1 zur besten Sendezeit den Dokumentarfilm «Preis der Aufrichtigkeit» ausgestrahlt. Ein Film, der Adam Quadronis Leben nach dem Baukartell zeigt. «Als Whistleblower im Fall des Bündner Baukartells zahlt Adam Quadroni einen hohen Preis: Er ging Konkurs. Er wurde verhaftet und in die Psychiatrie eingewiesen. Nach der Trennung von seiner Frau darf er die Kinder kaum mehr sehen. Nun zeigt sich immer mehr das Ausmass an Unrecht, das ihm widerfuhr», heisst es im Beschrieb zur Sendung. Der Film hat in der ganzen Schweiz ein enormes Echo ausgelöst und mehrheitlich waren sich die vielen Kommentarschreiber auf den Online-Portalen einig: Adam Quadroni ist grosses Unrecht geschehen, so etwas sollte in der Schweiz nicht passieren dürfen.

Sachgerechtigkeitsgebot verletzt
Eine etwas andere Sicht hat Not Carl. Der frühere Gemeindepräsident von Scuol und Grossrat sowie aktuell Richter beim Regionalgericht Engiadina Bassa/Val Müstair, hat sich bereits in einem Interview mit der EP/PL vor knapp einem Monat kritisch zum Dokfilm über Adam Quadroni geäussert. Jetzt hat er gegen den Film beim Ombudsmann von SRF eine 18 Seiten starke Programmbeschwerde mit etlichen Beilagen eingereicht. Carl stellt sich auf den Standpunkt, dass das Unterengadin völlig zu Unrecht zum Prügelknaben der Nation geworden ist. Massgeblich dazu beigetragen habe auch das Schweizer Fernsehen mit dem Film «Der Preis der Aufrichtigkeit.» «Das Sachgerechtigkeitsgebot wurde in dieser Sendung massiv verletzt und die Berichterstattung entsprach keineswegs dem Journalistenkodex des Schweizer Presserats», stellt Carl einleitend fest. Ohne die Feststellungen der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) und die Entscheide des Kantonsgerichts und des Bundesgerichts zu erwähnen, werde im Film das Unterengadin mit seinen 10 000 Einwohnern vierzig Minuten lang einseitig als eine bis hinauf zum Gericht korrupte Schweizer Region hingestellt. Carl verweist in der Medienmitteilung auch auf andere Kantone, in welchen Firmen in hunderten von Fällen von der Wettbewerbskommission (Weko) gebüsst worden seien, ohne dass ein derartiges Medienecho wie bei den Baukartellfällen im Engadin ausgelöst worden sei.

Interview nicht berücksichtigt
Gemäss Not Carl wurde er von der Filmemacherin im Mai 2019 kontaktiert mit der Frage, ob er im Dokfilm mitmachen würde. Nach einem regen Mail-Austausch sei das 20-minütige Interview im Juli 2019 in Scuol aufgezeichnet worden. Verwendet wurde im Film aber keine einzige Sequenz des Gesprächs. Das sei nicht primär das, was ihn störe. «Ich bin aber enttäuscht und erbost darüber, dass sie dann in ihrem Dokumentarfilm mehrmals betonte, niemand von der Region wolle vor der Kamera Stellung nehmen», schreibt Carl. Offensichtlich hätten der Filmemacherin seine Interviewaussagen nicht gepasst, worauf sie es vorgezogen habe, das ganze Gespräch wegzulassen und es im Film auch zu verschweigen. Er ist überzeugt, dass es im Film gar nie um eine objektive Darstellung des Sachverhalts gegangen sei, sondern vielmehr um die Zementierung der vorgefassten Meinung.
Carl beanstandet diverse konkrete Sequenzen aus dem Film. Unter anderem dort, wo der Rechtsanwalt von Adam Quadroni, Angelo Schwizer, tendenziöse Aussagen zum Nachteil von Regionalgerichtspräsident Orlando Zegg mache (siehe auch «Nachgefragt» auf dieser Seite). Oder auch die Szene im Film, in der dem Zuschauer der Eindruck vermittelt werde, der Regionalgerichtspräsident habe einen gewichtigen Anteil am viel kritisierten Polizeieinsatz gegen Quadroni. «Richter Zegg war nicht involviert, und er wusste nicht einmal, dass dieser stattfand», schreibt Carl.

Gerichtsentscheid ausgeblendet
Die Tatsache, dass sich das Kantonsgericht im Rahmen von Beschwerdeentscheiden mehrfach mit dem Thema befasst und Richter Zegg praktisch in jedem Fall Recht gegeben habe, werde im Dokfilm einfach ausgeblendet und Zegg werde im ganzen Film als korrupt, parteiisch und als Teil des Baukartells dargestellt. «Dem gesetzlichen Sachgerechtigkeitsgebot entsprechend hätte sie (die Filmemacherin, die Red.) mindestens in gleicher Länge auch über die gegenteilige Meinung informieren müssen, zumal diese in Form von Gerichtsentscheiden höherer Instanzen zur Verfügung stand», schreibt Carl.

Die Ombudsstelle
In der Schweiz gibt es für jede der vier Sprachregionen eine Ombudsstelle. Die Ombudsstelle der SRG Deutschschweiz behandelt die Beanstandungen zum gesamten publizistischen Angebot von SRF.
Jede und jeder kann eine Sendung innert 20 Tagen nach der Ausstrahlung bei der Ombudsstelle beanstanden. Eine Beanstandung zu einem publizistischen Angebot von SRF muss schriftlich bei der Ombudsstelle der SRG Deutschschweiz eingehen. Dabei ist kurz zu begründen, in welcher Hinsicht die gerügte Sendung mangelhaft sein soll. Die Ombudsstelle hat keine Entscheidungs- oder Weisungsbefugnis. Spätestens 40 Tage nach Einreichung der Beanstandung orientiert sie die Beteiligten schriftlich über die Ergebnisse ihrer Abklärungen und die Art der Erledigung der Beanstandung. Im beiderseitigen Einverständnis kann eine mündliche Erledigung erfolgen.
Sollte eine Beanstandung nicht zufriedenstellend beantwortet sein oder soll ein rechtskräftiger Entscheid erwirkt werden, kann nach Vorliegen des Schlussberichts der Ombudsstelle Beschwerde bei der «Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI)» erhoben werden. Pro-grammbeschwerden sind unter anderem möglich bei Missachtung der Grundrechte und der Menschenwürde, des Sachgerechtigkeitsgebots oder des Transparenzgebots.

Autor: Reto Stifel

Screenshot: Daniel Zaugg