Der Puschlaver Podestà und FDP-Grossrat des Wahlkreises Poschiavo, Giovanni Jochum, sagte es am Dienstagnachmittag am Rande des «Point de Presse» in Pontresina klar und deutlich: «Die Schliessung der Grenzen zu Italien wäre für uns katastrophal.»
Jochum sagte dies weniger aus Sicht des Gemeindepräsidenten denn vielmehr als Präsident des Gesundheitszentrums, der Fondazione Centro Sanitario Valposchiavo. «Wir beschäftigen im Spital San Sisto, dem Altersheim und der Spitex rund 200 Mitarbeitende. 60 Prozent davon sind Grenzgänger. Wenn uns diese fehlen, dann haben wir ein grösseres Problem.» Trotzdem sei das noch kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken: «Auch wenn die Grenze ganz geschlossen werden müssten, gäbe es Lösungen, beispielsweise mit Armeeangehörigen. Es ist aber nun mal einfacher, mit italienischsprechendem Personal auf italienischsprechende Patienten einzuwirken.» Deshalb sei es wichtig, das italienische Personal weiter beschäftigen zu können. Aktuell beziffert er für die ganze Talschaft 33 positiv auf das Coronavirus getestete Personen. Nur fünf davon sind hospitalisiert. Leider verzeichnete das Tal letzte Woche auch einen ersten Corona-bedingten Todesfall.

Grenze nicht weiter schliessen
Faktisch sei die Grenze zu Italien und Österreich ja zu, rief Victor Peer, Präsident der Grenzgemeinde Valsot und auch der Region Engiadina Bassa/Val Müstair, in Erinnerung. Über die Grenze darf nur noch, wer in der Schweiz arbeitet. «Wir werden uns aber wohl darauf einstellen müssen, dass diese Situation noch länger anhält», befürchtet er. Im Unterengadin sind seinen Informationen zufolge erst zwei positive Corona-Fälle bekannt.
Rico Lamprecht, Präsident der Gemeinde Val Müstair und BDP-Grossrat, sagte auf Anfrage, «die Bevölkerung ist gut informiert und hält sich entsprechend an die Massnahmen. Und auch die Grenzgänger sind meist nur noch alleine im Auto unterwegs.» Lamprecht weiss von einer positiv getesteten Person im Tal, welche zu Hause isoliert ist und ärztlich betreut wird. «Auch wir sind aber sehr abhängig davon, dass die Grenze nach Südtirol offen bleibt. Unsere Ärzte und das Verwaltungspersonal am Spital sind einheimisch, der grosse Teil des Pflegepersonals kommt aber aus Italien zu uns zur Arbeit.»
Die Valle Bregaglia verzeichnet sechs positive Fälle, die allesamt zu Hause isoliert sind. Der FDP-Grossrat und Projektkoordinator der Regionalentwicklung am PuntoBregaglia, Maurizio Michel, bestätigte, dass das Talspital gut organisiert und unter Kontrolle ist, fügte aber an: «Das ganze System ist labil und die Situation kann sich schnell ändern.» Auch er stellt sich hinter die Offenhaltung der Grenze und zeigte sich erleichtert, dass an der Lagebesprechung mit den Regierungsvertretern auch das Thema der Grenzgänger besprochen wurde: «Es ist nötig, dass seitens von Bund und Kanton auch hier Massnahmen und Kontrollen durchgeführt werden».

Kontrollen und Krisenfenster
Genau dieses wurde von den beiden Regierungsräten, dem Gesundheitsminister Peter Peyer und dem Volkswirtschaftsminister Marcus Caduff, in Aussicht gestellt: «Arbeitsplatzkontrollen von der Suva und dem Arbeitsinspektorat werden zeigen, ob die vom Bund erlassenen Massnahmen ergriffen und umgesetzt werden», sagte Caduff, «wo dies nicht möglich ist, ist in letzter Konsequenz auch mal eine Baustelle zu schliessen.»
Das Tessin, aber auch das Veltlin machen zunehmend Druck auf den Bund, die Grenzen gänzlich zu schliessen. Markus Caduff sieht darin keine Lösung des Problems und schon gar nicht im Alleingang eines Kantons. «Wir begrüssen aber die Absicht des Bundesrates, wonach sogenannte Krisenfenster definiert werden und man dort verschärfte Massnahmen treffen könnte.»

Versuch, die Gästezahl zu eruieren
Kanton und Gemeinden wollen zudem gemeinsam versuchen, «die aktuelle Zahl von Gästen und Bewohnern von Zweitwohnungen in den Ferienregionen Graubündens zu eruieren, um daraus Folgerungen für die Gesundheitsversorgung zu ziehen», wie Peter Peyer sagte. Aber auch, um vor Ort und, falls nötig, Hilfeleistungen wie Verpflegung oder Hütedienst anbieten zu können, ergänzte Martin Aebli, Gemeindepräsident von Pontresina und Präsident der Region Maloja. «Ob Einheimische oder Gäste, ob Schweizer, Deutsche oder Italiener, die Spielregeln gelten für alle», so Aebli.
Besonders in den Südtälern soll nun auch die Information in italienischer Sprache intensiviert werden. An einer solchen hapert es nämlich aktuell und nach Ansicht verschiedener Politikerinnen und Politiker aus Südbünden noch.

Zu diesem Text erschien in der Donnerstagsausgabe vom 26. März noch folgender Fronttext:

Nach San Bernardino am Montag, haben sich am Dienstag Vertreter von Regierung und Führungsstab in Pontresina mit Südbündner Politikerinnen und Politikern zur Lagebesprechung getroffen. Zudem wurden in einem «Point de Presse» Fragen der regionalen Medienschaffenden beantwortet.

Die Situation rund um die Grenzen zum besonders stark von der Coronapandemie betroffenen Nachbarland Italien war eines der Hauptthemen der Zusammenkunft der Südbündner Politiker mit den Regierungsräten Peter Peyer und Marcus Caduff sowie mit dem Chef des Kantonalen Führungsstabs, Martin Bühler, im Pontresiner Kongresszentrum Rondo am Dienstag.
Sieben Grossräte und zehn Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten folgten der Einladung zur Lagebesprechung. Diese erfolgte hinter geschlossenen Türen, machte aber klar, dass sich die Verantwortlichen aus dem Engadin, dem Bergell, der Val Poschiavo und der Val Müstair weiterhin für offene Grenzen stark machen. Zu gross sei in Südbünden die Abhängigkeit von italienischem Personal im Gesundheitswesen, im Bausektor und in anderen relevanten Branchen. Ferner wurden auch Möglichkeiten besprochen, wie in Südbünden anwesende Gäste noch besser informiert werden können.

Autor und Foto: Jon Duschletta