Sie ist eng, kurvig, unübersichtlich, stark befahren und in einem sehr schlechten Zustand: Die Malojastrasse zwischen Silvaplana und Sils. Wer diesen Abschnitt kennt, würde das sofort unterschreiben. Die Strasse ist aber auch gefährlich. Davon können die Radfahrer ein Lied singen, und die Unfallstatistik zeigt eine überdurchschnittlich hohe Zahl an Frontalkollisionen. Kurz: Der Handlungsbedarf ist unbestritten, wie die EP/PL in einem Bericht am 20. August festgehalten hat.
Das ist mit ein Grund, dass dieser Strassenabschnitt im Kantonalen Richtplan den Koordinationsstand «Festsetzung» erhalten hat. Heisst: Es liegt ein konkretes Projekt vor, welches zeitnah umgesetzt werden soll. Vom 17. August bis 15. September lag neben dem Richtplan auch das Auflageprojekt des kantonalen Tiefbauamtes zur öffentlichen Mitwirkung auf, die EP/PL hat im Detail darüber berichtet. Kurz zusammengefasst: Der Strassenquerschnitt soll von heute fünf bis sechs Meter bergseitig auf 9,9 Meter verbreitert werden. Sechs Meter gehören dem motorisierten Verkehr, 1,25 Meter auf jeder Seite sind für die Radfahrer geplant, und beidseitig je 70 Zentimeter sind für die sogenannte seitliche Hindernisfreiheit vorgesehen.

Radstreifen bringt zu wenig
Dass der Kanton von der ursprünglich gehegten Idee des separaten Radweges wieder abgekommen ist und nur noch von der Fahrbahn optisch getrennte Radstreifen realisieren will, wird in der Mitwirkung von verschiedenen Seiten kritisiert. So auch von den beiden Standortgemeinden Silvaplana und Sils. «Das Auflageprojekt überzeugt die Gemeindebehörde nicht», steht im Brief der Gemeinde Silvaplana geschrieben. Die Radstreifen würden punkto Sicherheit keine Verbesserung bringen, im Gegenteil. Durch die breiteren Fahrbahnen dürfte vor allem der Schwerverkehr viel schneller unterwegs sein. Eine Meinung, die auch von der Nachbargemeinde Sils und der Engadin St. Moritz Tourismus AG geteilt wird.

Touristische Relevanz
Letztere weist neben der Sicherheit auch auf den touristischen Stellenwert hin. In Maloja startet der Inn-Radweg, welcher bis zum Schwarzen Meer führt. An den Ufern des Silser- und des Silvaplanersees aber fehle eine Veloverbindung, welche gefahrenlos von Rennvelofahrern, Triathleten, Bikern und Familien benutzt werden könne. «Unsere Nachbarländer haben die touristische Relevanz des Inn-Radweges erkannt und ihn entsprechend ausgebaut; das Oberengadin steht im Vergleich sehr schlecht da – die Gäste merken das und machen uns vermehrt darauf aufmerksam.»
Die Societed Glista Libra (SGL) macht darauf aufmerksam, dass zwischen Silvaplana und Sils ein seeseitiger, abgetrennter Radweg von 2,5 Metern Breite von sehr vielen Anspruchsgruppen genutzt werden könnte. «Mit dem Aufkommen der E-Bikes und der Konflikte zwischen Fuss- und Veloverkehr sind unseres Erachtens abgetrennte Velowege ein Muss und alle anderen Lösungen inakzeptabel», heisst es.
Welche anderen Lösungen würden sich anbieten? Silvaplana und Sils sehen drei Varianten. Quasi als Maximalvorschlag eine Verlegung des gesamten Strassenabschnittes in einen Tunnel. Ein solcher würde aber gemäss groben Schätzungen rund 200 Millionen Franken kosten. Mit dem Vorteil, dass die bestehende Strasse in Zukunft im Sommer für den Langsamverkehr und im Winter für den Langlauf und Fussgänger genutzt werden könnte. Dies würde auch die Durchführung des Engadin Skimarathon sichern, sollte der See einmal nicht zufrieren. Variante 2 ist der physisch getrennte Radweg neben, oberhalb oder unterhalb der Fahrbahn. Variante 3 schliesslich würde das Nordufer alleine dem motorisierten Verkehr überlassen. Dafür müsste der bereits heute bestehende Weg so ausgebaut werden, dass im Sommer eine grosszügige Entflechtung zwischen Fussgängern und Velofahrern erfolgen könnte. Im Winter müsste die Loipe so verbreitert werden, dass diese maschinell präpariert werden kann und zusätzlich Platz für einen Winterwanderweg bietet.

Sensible Landschaft
Auch der Kanton selber schreibt in seinen Unterlagen von einem «grossen Sicherheitsrisiko, insbesondere für die Radfahrer». Als Grund, nicht einen separaten Radweg seeseitig zu bauen, gibt Richard Atzmüller, Leiter des kantonalen Amtes für Raumentwicklung (ARE) primär die dafür erforderlichen Eingriffe in Natur und Landschaft an. Der Projektperimeter befinde sich in der Oberengadiner Seenlandschaft und Berninagruppe, welche Objekt des Bundesinventars der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN-Gebiet) ist. Weiter sagt er, dass die Behandlung der Einwendungen zum Richtplan beziehungsweise der Einsprachen zum Auflageprojektes des Tiefbauamtes (TBA) Teil der Verfahren sind, in denen das TBA und das ARE eng zusammenarbeiten. «Da es sich um laufende Verfahren handelt, können wir jetzt nicht inhaltlich zu einzelnen Äusserungen Bezug nehmen», sagt er.

Gewichtslimite für Fahrzeuge?
Wenn es um Bauten an den Oberengadiner Seen geht, ist immer auch die Schutzorganisation Pro Lej da Segl (PLS) involviert. Diese anerkennt in ihrer Stellungnahme die Bemühungen im vorliegenden Auflageprojekt, welches auf die einmalige Landschaft Rücksicht nehme. Die PLS ist aber besorgt, dass der Ausbau der Strasse dazu führen könnte, dass diese als Korridor für schwere Lastwagen genutzt werden könnte. Die Schutzorganisation will deshalb eine Limitierung auf Fahrzeuge mit maximal 18 Tonnen Gewicht.
Etwas weniger weit geht die SLG, sie möchte Fahrzeuge bis maximal 32 Tonnen zulassen. Beide Organisationen schlagen zudem vor, im Rahmen der Bauarbeiten die Mittelspannungsfreileitung Fratta ins Trassee der neuen Strasse zu verlegen.

Autor: Reto Stifel