Kinder und Jugendliche, die sich ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten entsprechend in kommunale Belange einbringen können, dies schwebt dem Dachverband für Kinder- und Jugendförderung Graubünden, kurz jugend.gr, vor. Dazu hat der Verband das auf die Dauer von dreieinhalb Jahren festgelegte Projekt «Kinder- und Jugendpartizipation in Bündner Gemeinden» lanciert.
Samuel Gilgen ist seit vier Jahren Fachstellenleiter von jugend.gr. Den Umstand, dass sich keine einzige Gemeinde aus dem Engadin und den Südtälern für das Partizipationsprojekt begeistern liess, bedauert er und wertet diesen als «vergebene Chance». Mit von der Partie und zum Teil bereits mitten im Prozess sind die Gemeinden Landquart, Davos, Untervaz, Vaz/Obervaz, Surses, Safiental, Lumnezia sowie ein Gemeindeverband aus der Cadi mit Medel, Sumvitg, Trun, Disentis/Mustér und Tujetsch – sowie, eben erst am Mittwoch bekanntgeworden, die Gemeinde Ilanz/Glion. So bleibt theoretisch ein einziger Projektplatz frei.

Vereinfachter Zugang
Das Bündner Partizipationsprojekt ist eine Art Alternative zur Unicef-Initiative «Kinderfreundliche Gemeinde». Weil das Unicef-Label teilweise zu hochschwellig, zu teuer und zu umfangreich ist, machte bisher laut Gilgen noch keine Bündner Gemeinde bei diesem mit. «Unser, von der Stiftung Mercator Schweiz mit einer halben Million Franken finanziertes Projekt darf die Inhalte der Unicef-Initiative nutzen, unabhängig davon, ob eine Gemeinde später das Label beantragt oder nicht», so Gilgen. Das erleichtert den Gemeinden den Zugang und vereinfacht die Abläufe.
Das Partizipationsprojekt wird von der Projektleiterin Chantal Bleiker geleitet und ist in vier Prozessschritte unterteilt: Zuerst erfolgt eine fundierte und umfassende Situationsanalyse deren Detailfragen bis in die Raumplanung reichen, gefolgt von einer Bedürfnisanalyse bei Kindern und Jugendlichen und dem politischen Entscheid, welche Inhalte und Massnahmen angegangen werden und Eingang finden in einen entsprechenden, gemeindespezifischen Aktionsplan. «Die Inhalte», so Samuel Gilgen, «sind weit umfassender als noch beim Projekt des mobilen Jugendtreffs, dem ‹JugendMobil› und suchen Antworten auf eine Vielzahl von Fragen. Beispielsweise: Wie sind Schulwege spezifisch gestaltet, wo können Kinder wie mitreden, wie ist der Bereich Schule aufgestellt, wie ist das Aufwachsen oder der Einbezug geregelt oder wie sind die Kinderrechte berücksichtigt.» Der vierte und letzte Schritt ist die abschliessende Prozessauswertung mit der Gemeinde.
Der 2005 gegründete Dachverband jugend.gr hat sich in den 15 Jahren seines Bestehens zum eigentlichen Kompetenzzentrum für Kinder- und Jugendförderung gemausert. «Wir haben die ersten zehn Jahre bewusst und vordringlich in Orten gewirkt, wo es keine entsprechenden Förderangebote gab», so Samuel Gilgen. «Mit den Projekten ‹place4space› und ‹JugendMobil› haben wir die Gemeinden aufgefordert, zu überlegen und aufzuzeigen, was es in Sachen Kinder- und Jugendförderung vor Ort braucht.» Mit Erfolg, wie Gilgen ergänzt: «Diverse Gemeinden, die jetzt ins Projekt Partizipation eingestiegen sind, waren auch ‹JugendMobil›-Gemeinden. Wo Strukturen vorhanden waren, war es offensichtlich einfacher, ins neue Projekt einzusteigen.»

Jugendförderung in Südbünden
Gelegenheit, noch einen aktuellen Blick auf die Engadiner JugendMobil-Gemeinden zu werfen: Die Bemühungen, auf kommunaler Ebene Angebote der Kinder- und Jugendförderung auf die Beine zu stellen, scheinen in Zuoz im Sande verlaufen und in Zernez und Samnaun auf Eis gelegt worden zu sein. Erfreulicheres kann Samuel Gilgen hingegen aus St. Moritz, Scuol, Valsot, Val Müstair und Valposchiavo berichten. Die bisher auf der Basis einer Vereins-Trägerschaft angebotene Jugendarbeit der Gemeinde St. Moritz und der umliegenden Gemeinden Pontresina, Silvaplana, Sils, Celerina und Bever wurde der Gemeinde St. Moritz einverleibt. Seit dem 1. September ist der bisherige Jugendarbeiter David Zimmermann von der Gemeinde in gleicher Funktion und in einem Vollzeitpensum angestellt. Für Zimmermann ist es indes noch zu früh, im Wechsel Vor- oder Nachteile zu orten, zumal der St. Moritzer Jugendtreff «JuTown» aktuell und coronabedingt geschlossen ist: «Ich denke aber», so Zimmermann, «dass wir vom Wechsel profitieren können, weil wir so näher an der Gemeinde und den gemeindeinternen Strukturen sind».
Die Gemeinde Scuol hat jugend.gr zwischenzeitlich den Auftrag erteilt, einen Bericht, eine Auslegeordnung über die Kinder- und Jugendförderung in der Gemeinde zu erstellen. «Die Bevölkerungsumfrage zur Arealnutzung Trü hat auch gezeigt, dass es in Scuol einen betreuten Treffpunkt für Jugendliche brauche», sagt Samuel Gilgen. Zurzeit werde vor Ort eine Arbeitsgruppe zusammengestellt, welche den Bericht dann erstellen werde.
In der Unterengadiner Gemeinde Valsot soll gemäss Gilgen demnächst eine kleine Stelle geschaffen werden, welche sich den Belangen der Kinder- und Jugendförderung annimmt, in der Gemeinde Val Müstair sind diesbezüglich «spannende Gespräche zwischen der Biosfera Val Müstair und der Gemeinde im Gang» und in der Valposchiavo ist das Förderangebot bereits erfolgreich beim Familienverein Appoggio familiare Valposchiavo angegliedert. Die Gemeinde Poschiavo hat zudem kürzlich, als erst dritte Bündner Gemeinde neben Safiental und Lumnezia, das Label «Jugendfreundliches Bergdorf» der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Bergdörfer (SAB) erhalten.

Weiterführende Infos unter www.jugend.gr

Autor und Foto: Jon Duschletta