Jung, ungebunden, frei, die Welt zu Füssen: Als Mittfünfziger und Vertreter der Nach-Babyboomer-Generation ist das meine Erinnerung an die Jugend. In Zeiten wirtschaftlicher Prosperität war es unser Privileg, sich austoben zu können und Fehler machen zu dürfen. Ohne gleich um den Job bangen zu müssen oder sich darüber zu sorgen, ob es in entfernten Jahren einmal eine Rente gibt oder nicht. Allerdings war diese Zeit in den 1980er- und 1990er-Jahren auch geprägt von Veränderungen – vor allem auf dem Arbeitsmarkt. Die Stelle auf Lebzeiten wurde zum Auslaufmodell. Wer sich nicht weiterbildete oder offen war für Neues, riskierte den Anschluss zu verlieren.

Spannende Einblicke erhalten
Und heute? Wie lebt die Jugend im Engadin, in der Schweiz? Was erhofft sie sich, wie sehen ihre Zukunftswünsche aus, worum sorgt sie sich? «Jung sein im Engadin», lautete das Thema der diesjährigen Schwerpunktwoche der EP/PL. Wir haben viele Junge getroffen, mit ihnen über ihr Aufwachsen im Hochtal gesprochen, über ihre Erwartungen an ein erfülltes Leben. Wir haben Jugendliche porträtiert, die sich im Sport oder in der Kultur profilieren, als Jungunter-nehmer im Tal oder ausserhalb Karriere machen, erste Gehversuche in der Politik wagen oder als junge Asylsuchende Fuss fassen wollen. Aber auch die Generationenfrage wurde thematisiert, und auf welche Weise das Umfeld, in dem jemand aufwächst, die spätere Berufskarriere beeinflussen kann. Kurz, wir haben spannende Einblicke in die Welt der Jungen erhalten, auch mit der Erkenntnis, dass es gerade für unsere Generation wichtig ist zu verstehen, was die Jungen an- und umtreibt. Vor allem dann, wenn es um gelebte Solidarität zwischen den Generationen geht.

Flexibilität mehr denn je gefragt
Die Jungen von heute stehen vor ganz anderen Herausforderungen, als wir sie noch kannten. Drei Beispiele: Die rasante technologische Entwicklung beeinflusst den Arbeitsmarkt stark. Jobs, die bisher als sicher galten, verschwinden, neue entstehen, Flexibilität ist mehr denn je gefragt. Zweitens ist die Altersvorsorge für die junge Generation von heute alles andere als gesichert. Es erstaunt darum nicht, dass im aktuellen Credit-Suisse-Jugendbaro-meter bei fast der Hälfte der befragten Schweizer Jugendlichen die Altersvorsorge als das grösste Problem benannt wird. Und drittens schliesslich ist in diesem Frühjahr die globale Corona-Krise dazugekommen. Diese hat den Alltag in kürzester Zeit verändert und geprägt. Fernunterricht an den Schulen, Homeoffice am Arbeitsplatz, ein stark eingeschränktes soziales Leben oder kaum mehr Möglichkeiten zu reisen, sind unmittelbare und kurzfristige Veränderungen. Welche Auswirkungen die Pandemie längerfristig auf die Jugendlichen hat, sei es auf die Gesundheit, das soziale Zusammenleben oder auf die Bildungs- und Berufsperspektiven, ist heute kaum abschätzbar.

Neue Möglichkeiten, neue Chancen
Die Recherche zu den verschiedenen Themen hat aber auch positiv gestimmt. Die technische Entwicklung und die neuen Möglichkeiten daraus haben immer schon Generationen geprägt. Das ist heute nicht anders. Dank den sozialen Medien sind die Jungen viel vernetzter, und sie können politischen oder gesellschaftlichen Forderungen über diese Kanäle rasch und effizient Nachdruck verleihen. Auch die Resultate der bereits erwähnten CS-Studie bestätigen, dass sich die Jungen politisch engagieren. Allerdings passt dieses nicht mehr in die traditionellen politischen Strukturen und Institu-tionen. Sich punktuell für Anliegen einzusetzen, sei es für den Klimaschutz oder die Genderfrage ist ein grosses Bedürfnis. Und schliesslich wachsen die Jungen von heute auch nicht mehr mit diesem längerfristigen Planungshorizont auf, wie wir ihn vielleicht noch gekannt haben. Negativ wird das oft als sprunghaft, wenig verbindlich, kaum fassbar interpretiert. Positiv betrachtet ist es aber genau die Flexibilität, die im heutigen Umfeld gefragt ist.
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Autor: Reto Stifel


Sämtliche Beiträge zur Schwerpunktwoche können auf www.engadinerpost.ch im Dossier «Schwerpunkt: Jung sein im Engadin» nachgelesen werden.