Wir kennen in der Schweiz drei Arten der Linde. Neben der grossblättrigen Sommerlinde (platyphyllos) und der kleinblättrigen Winterlinde (cordata) gibt es noch die Silberlinde (Tilia tomentòsa Moench). In der Heilkunde werden nur die ersten zwei Arten verwendet. Dieser stattliche Baum, der auch in der Geschichte innerhalb von Gemeinden eine grosse Bedeutung hatte – er war oft Treffpunkt und politisches Zentrum – ist heute vielen, vor allem jüngeren Menschen kaum bekannt. Vor allem in ländlichen Gegenden finden wir aber noch immer fast bei jedem Bauernhof eine oder mehrere Linden (sehr ausgeprägt im Emmental). Die Bauern legten grossen Wert darauf, einen solchen Baum zu pflegen.
Wir finden für diesen Wunderbaum noch weitere Volksnamen wie Bastbaum, Frühlinde, Steinlinde, Waldlinde, Graslinde usw. Viele Namen werden wohl einen Bezug haben zum Standort der entsprechenden Lindenbäume. Die Linde kann bis 25 Meter hoch werden, ein stattlicher Baum, der nicht zu übersehen ist. Er hat eine grosse, geschlossene Krone. Die Borke ist rissig und graubraun oder schwarzgrau; die Äste sind glatt, die jüngeren Zweige olivgrün, braun oder braunrot mit weissen Wärzchen. Die Blätter sind langgestielt und am Grunde ungleich, breit-herzförmig, oberseits dunkel – unterseits bläulichgrün und an den Nervenwinkeln unterseits mit rostrotem Haarbüscheln versehen (bei der Sommerlinde sind diese weiss). Die fünf bis elf Blüten sitzen an einem Stiel, der seinerseits einem pergamentartigen, breit-lanzettlichen (zungenförmigen) Tragblatt (Hochblatt) entspringt. Die Blüten haben fünf kleine, grünlichweisse Kelchblätter und fünf gelblichweisse, schmale, kahnförmige Kronblätter und viele Staubblätter. Die Bäume findet man in Laubwäldern und Gebüschen wildwachsend, oder angepflanzt im Kulturland, bei Bauernhöfen oder beim Gemeindeplatz. Verwendet werden die getrockneten Blüten, seltener die Rinde. Bei Hildegard von Binnen ist die Lindenerde rund um den Wurzelstock von Bedeutung. Die Ernte der Blüten findet sofort nach dem Aufblühen statt. Die Trocknung erfolgt am Schatten bei Temperaturen nicht über 35 Grad. Die Rinde wird im April/Mai geerntet.
Die Flavonoide enthalten Astragalin, Kämpferol, Quercitirn, Tilirosid, Hyperosid, Rutin u. a. Komponenten. Schleimstoffe (Arabinoglaktane) und ätherische Öle wie Geraniol, Linalool, Cineol und andere sowie Gerbstoffe und Kaffeesäurederivate runden die Wirkstoffpallette ab.
Die Anwendungsgebiete sind auch im Volksmund weitgehend bekannt. So nimmt man Lindenblütentee bei Erkältungen, Katarrh der Atmewege und bei trockenem Reizhusten. Die leicht schweisstreibende Wirkung unterstützt das «Ausschwitzen» bei Erkältungskrankheiten und Grippe. Man kann die Wirkung mit Zugabe von Holunder- und Mädesüssblüten verstärken. Daneben hilft Lindenblütentee bei leichten Harn- und Magenproblemen, es löst Krämpfe und sorgt für eine Beruhigung des Körpers bei Anspannung.
Für die Teezubereitung braucht es zwei Gramm (ein guter Teelöffel voll) geschnittene und getrocknete Blüten, welche wir mit kochendem Wasser übergiessen und zehn Minuten ziehen lassen. Man kann auch kalt ansetzen, das Wasser zum Sieden bringen und dann ziehen lassen. Pro Tag ein bis zwei Tassen , im Erkältungsfall zwei bis vier Tassen trinken. Nebenwirkungen sind keine bekannt. Jürg Baeder


Wichtiger Hinweis: Die in der Engadiner Kräuterecke beschriebenen Heilpflanzen sind in verschiedenen Fachbüchern zu finden. Jürg Baeder ist Eidg. Dipl. Drogist und hat langjährige Erfahrung mit Heilkräutern. Da auch bei den Heilkräutern Verwechslungen möglich und zum Teil auch Anwendungseinschränkungen zu beachten sind, sollte man eine Fachperson konsultieren. Der Autor weist auf die Eigenverantwortung hin.
Sämtliche Beiträge zur Serie «Engadiner Kräuterecke» sind auch auf www.engadinerpost.ch zu finden, im Dossier «Heilpflanzen».