Es ist kalt, die Sonne greift am frühen Morgen nahe am Inn bei der Pensiun da chans in Ramosch nur zaghaft wärmend ein. Es ist still. Auf dem grossen Gelände sind grosszügig bemessene Hundegehege zu sehen. Daneben stehen verschiedene Containerhäuser, und ein etwas ramponierter Fussball liegt unter einem der Bäume.
In einem separierten Gehege hinter dem Haus Waldheim ist ein einsamer Pitbull zu sehen. Am Haus öffnet sich ein Fenster, und eine Dame sagt: «Das ist Rocky, und gleich kommt seine grosse Liebe, die Nugget, aber für mich sind die beiden nur Herr und Frau Macron. Die Nugget ist nämlich viel, viel älter als ihr Gatte Rocky.»
Die Dame stellt sich als Belinda Conradin vor. Gründerin, Betreiberin und eigentliche Mutter des Tierferienheimes und der Stiftung «Pro Tierwaisenheim Ramosch».

Platz für 60 Hunde
«Es macht mich traurig, diese grosse Anlage ohne die vielen spielenden Hunde zu sehen», sagt sie mit Blick auf die grosse gepflegte, leere Anlage. Hier sei eigentlich Platz für 60 Hunde. «Aber wegen der andauernden Reisebeschränkungen wegen Corona fehlen die vierbeinigen Feriengäste.» Deren Besitzer, die allermeisten davon aus dem Raum Zürich, würden seit Beginn der Pandemie weniger oder gar nicht mehr reisen und bräuchten deshalb auch keinen schönen Ferienplatz für ihre Lieblinge.
Von ehemals acht Mitarbeitern seien nur Tumasch Bollhalder, ein Tierpfleger EFZ, und der Volontär Christian Wallnöfer geblieben. Die anderen habe sie schweren Herzens wegen leeren Kassen zum RAV schicken müssen. Mit den beiden verbliebenen Mitarbeitern kümmere sie sich jetzt um die verbliebenen Stiftungstiere.
«Stiftungstiere sind ausgesetzte, heimatlose und verhaltensauffällige Hunde und auch Katzen, die wir mit der Stiftung ‹Pro Tierwaisenheim Ramosch› betreuen und aufpäppeln, um sie im Idealfall wieder an jemanden vermitteln zu können», erklärt die 65-jährige gebürtige Zürcherin. Aber einzelne Hunde wie Rocky und Nugget seien aufgrund ihres Verhaltens nicht vermittelbar. Finanziert werde die sehr aufwendige Betreuung der ausgesetzten Hunde und Katzen durch Spenden an die Stiftung, aber zu einem nicht kleinen Teil eben auch über die aktuell weggefallenen Einnahmen des Tierferienheimes.

Die ängstliche Gianna
Belinda Conradin öffnet die Haustür und bittet in die warme Stube. Das vielbeinige Begrüssungskomitee wedelt eifrig, schnüffelt neugierig an den Hosenbeinen und ein kleiner Rabauke namens Jerry präsentiert stolz seine Spielzeugpuppe. Überall stehen Hundebettchen und in einem der gemütlichen Arvenzimmer verkriecht sich einer der Vierbeiner in sein Bettchen unter einem Tisch.
«Die Hündin ist rumänischer Herkunft und heisst Gianna. Sie ist extrem ängstlich und verlässt ihren Platz nur an der Leine», bemerkt Conradin. Vor Corona, im letzten Jahr, hätten sie noch 22 Hunde und 15 Katzen pflegen und betreuen können. Die meisten habe sie an Institutionen vermitteln können. Geblieben seien sieben Hunde und zwei Katzen. Die beiden Katzen teilen sich in der perfekt ausgestatteten und sehr sauberen Katzenwohnung im 1. Stock ein Zimmer. Eine frisch operierte Katze liegt auf dem Katzenbaum und die andere ist nicht zu sehen. Conradin zeigt auf einen kleinen runden, eigenartig gewölbten Teppich: «Die Katze kam vor einer Woche und versteckt sich seither verängstigt unter dem Teppich.» Die brauche aber nur etwas mehr Zeit, das werde schon wieder gut.

Ferienwohnung für Tierbesitzer
In der soeben fertig gewordenen und liebevoll eingerichteten Ferienwohnung im Obergeschoss – vielleicht bringe ja die Vermietung dieser ein bisschen Geld – blickt Belinda Conradin zurück auf die Anfänge ihrer Hundepension: «1992 bin ich mit meiner Labradorhündin nach Ramosch gekommen, um Labradore zu züchten. Und am 6. Dezember 1995 ist der A-Wurf der Labradors Plan da Muglin zur Welt gekommen.» Im Jahr darauf habe sie am 24. Dezember das Tierferienheim mit vier Gästen eröffnet.
Im Frühjahr 1997 habe die Grenzwache bei ihr angefragt, ob sie einen ausgesetzten, festgebundenen Hund aufnehmen könne. Sonst müsse der nach Chur. Sie hat die, wie sie sofort feststellte, trächtige Hündin bei sich aufgenommen und kurz darauf erblickten sechs Welpen das Licht der Welt.
«Es war sehr aussergewöhnlich. Der Wurf bestand nur aus Rüden. Genannt hab ich sie die sechs Kummerbuben», erinnert sich Conradin. Im Laufe der Jahre seien immer mehr verhaltensauffällige Tiere bei ihr gelandet. 2008 sei dann die Gründung der Stiftung erfolgt. «Seither haben wir gut 200 Tiere vermitteln können.» Ausserdem hat die Zürcherin, die nach ihrer Wirtschaftsmatura in Salzburg und Zürich Gesang studiert hat und später die Ausbildung zur Tierpflegerin und Verhaltenstrainerin gemacht hat, in Ramosch 16 Lehrlinge ausgebildet.

Keine Nachfolger in Sicht
Die 65-Jährige sucht schon seit Längerem erfolglos eine Nachfolge für ihre Tierpension. Im November schreibt sie an ihre Kunden und Freunde: «Immer hatte ich gedacht, es würde einmal ein Leichtes sein, ein so gut etabliertes, professionelles und liebevoll in die Welt gesetztes Tierferienheim in einen positiven Nachfolgeprozess einzubinden. Corona hat mich trotz allen Bemühungen besiegt und zu Fall gebracht. In meinem Leben ist es Herbst, in mir und um mich dunkel geworden.»
Im Moment kann sie gerade noch fünf Privatplätze in ihrem Wohnhaus anbieten. Und wenn nicht in den nächsten Monaten ein kleines finanzielles Wunder passiert, wird die Tierschützerin ihr Heim endgültig schliessen müssen. Es braucht nicht viel Fantasie, um ahnen zu können, was dann mit dem nicht vermittelbaren Paar Herrn und Frau Macron passieren wird.

Text und Foto: Daniel Zaugg
www.plandamuglin.ch