«Engadiner Post/Posta Ladina»: Frau Jamnicki, am Montag beginnt die Covid-Impfung auch in Graubünden. Wie sind die kantonalen Stellen darauf vorbereitet?
Marina Jamnicki: Geplant ist, am 4. Januar mit den Impfungen zu beginnen. Wir möchten dies aus einer Kombination von medizinischen und logistischen Gründen aber zuerst in Alters- und Pflegeheimen und mit dem Einsatz mobiler Impfequipen tun. Die Möglichkeiten für weitere Personen, vorab jene aus den Risikogruppen, sich in Impfzentren impfen zu lassen, kommt etwas verzögert in einem zweiten Schritt.

Also beispielsweise im Alters- und Pflegeheim Promulins in Samedan?
Später ja, die ersten Impfungen werden wir aber im Raum Chur machen. Auch wir müssen das üben und schauen wie alles funktioniert. Die Herausforderungen sind sehr hoch, vor allem der Umgang mit dem Impfstoff und die ganze Logistik. Es ist deshalb einfacher, wenn anfänglich die Wege noch kurz sind. Die konkrete Detailplanung, wann und wo geimpft werden kann, obliegt dem kantonalen Amt für Militär und Zivilschutz. Definitiv ist noch nichts, es ist eine rollende Planung, wir beginnen und schauen dann weiter. Ein limitierender Faktor ist auch die uns zur Verfügung stehende Anzahl Impfdosen. Diese werden innerhalb des Kantons anhand des Bevölkerungsschlüssels den einzelnen Regionen
zugeteilt.

Was sind konkret die Herausforderungen im Umgang mit dem Impfstoff?
Alles muss sehr genau und im Voraus geplant werden. Der Impfstoff muss bei rund minus 80° Celsius gelagert und transportiert werden. Sobald er auf Kühlschranktemperatur aufgetaut ist, muss er innerhalb einer Woche verbraucht werden. Man muss auch eine ziemlich genaue Vorstellung davon haben, wie viele Personen sich wann und wo impfen lassen wollen. Man kann nicht einfach mal Impfstoff bringen, im Kühlschrank lagern und darauf warten, dass sich jemand impfen kommt.

Wo werden in Südbünden dereinst Impfzentren eingerichtet?
Prinzipiell werden diese bei den grösseren Spitälern angesiedelt sein. In Randregionen bereiten wir aktuell noch individuelle Lösungen vor. Eine Idee ist, dass man isoliert, an bestimmten Tagen in die Talschaften geht und dort die Impfungen vornimmt.

Wie werden die gesetzlich vorgeschriebenen persönlichen Beratungsgespräche vor der eigentlichen Impfung durchgeführt?
Prinzipiell und losgelöst von der Covid-Impfung ist dies immer eine Aufgabe der Ärzte. Beratungsgespräche werden wir so in den Impfzentren nicht anbieten können. Es gibt aber zwei Möglichkeiten: Entweder man geht für eine Impfberatung zum Arzt oder zur Ärztin und meldet sich
danach für die eigentliche Impfung an, oder, Leute, deren Entschluss sich impfen zu lassen schon feststeht und keine detaillierte Beratung mehr wünschen, die können selbständig die entsprechenden Informationsmaterialien auf den Internetseiten des Bundes oder auch des Kantons lesen und sich gleich auch selber anmelden. Bei der Impfung müssen sie dann noch bestätigen, die Informationen gelesen zu haben und damit einverstanden zu sein. Die Online-Anmeldeformulare sind allerdings noch nicht aufgeschaltet. Von Seiten des Bundes ist uns eine einheitliche Lösung versprochen worden.

Ist das schon alles?
Nein. Vor Ort, also vor dem Impfen wird immer nochmals kurz nachgefragt, auch ob man sogenannte Kontraindikationen hat, also beispielsweise Grundkrankheiten, die gegen eine Impfung sprechen. Konkret sind bei der Covid-Impfung erst Personen ab 16 Jahren zugelassen, keine Schwangeren und auch nicht Personen, die auf Inhaltsstoffe des Impfstoffs allergisch reagieren. Aber auch hier ist noch alles im Entstehen. Die ganzen Informationsunterlagen sind erst seit den Weihnachtsfeiertagen online. Es braucht jetzt einfach etwas Zeit, bis sich alles etabliert hat und sich ganz konkret auch die Ärzte genügend Fachwissen angeeignet haben, um die Impfwilligen gut beraten zu können.

Wie sind mobile Impfequipen organisiert?
Diese Equipen bestehen im Prinzip aus einem Arzt, einer Ärztin, einer medizinischen und einer administrativen Fachperson. Wenn uns vor Ort, in Alters- und Pflegeheimen, die zuständigen Heimärzte unterstützen wollen, dann sehr gerne, da sagen wir natürlich nicht nein. Grundsätzlich funktionieren die Equipen aber unabhängig. Aufgabe der Heime wird aber sicher sein, die Bewohnerinnen und Bewohner anzusprechen, zu informieren, aufzuklären und für den Tag X bereit zu sein.

Aber, die Covid-Impfung wird wie alle anderen Impfungen auch in Heimen freiwillig sein ...
Absolut, das ist unbestritten und überhaupt keine Frage. Es ist immer freiwillig und braucht die Einwilligung der zu impfenden Person.

Wie stehen Sie als Medizinerin generell zum Thema Impfen?
(lacht) Sie sprechen mit einem Mitglied der eidgenössischen Impfkommission und Mitarbeiterin in diversen Arbeitsgruppen des Bundes zur Covid-Impfung. Ich persönlich befürworte absolut die Impfungen, sehe aber wirklich ein, dass gerade bei diesem mRNA-Impfstoff grosse Unsicherheiten bestehen und noch viele Fragen offen sind. Das macht manchen ein etwas ungutes Bauchgefühl, beispielsweise, ob der Wirkstoff wirklich Einfluss auf die DNA haben kann oder nicht?

Und, kann er?
Was ich dazu sagen kann, ist, dass die Zulassungsstudie meines Erachtens sehr korrekt, sehr sauber und sehr gut durchgeführt worden ist. Bei den rund 20 000 im Rahmen der Studie geimpften Personen hat man über die bekannten Nebenwirkungen wie Kopfweh, Fieber, leichten allergischen Reaktionen oder Schmerzen bei der Einstichstelle hinaus keine schwerwiegenden Impferscheinungen festgestellt. Das sind aber die selben Reaktionen wie auf andere Impfungen auch und nicht weiter erstaunlich. Ganz klar ist aber, wir wissen noch nichts über sehr seltene Erscheinungen. Das kommt jetzt dann mit der Zeit, wenn 100 000 oder eine Million Personen geimpft sind. Deshalb ist es ja auch eminent wichtig, dass man das alles weiterhin sehr genau verfolgt. Und, wir wissen natürlich noch nichts über allfällige Langzeitwirkungen.

Bleibt die Frage, soll man sich impfen lassen oder nicht?
Schlussendlich ist diese Frage eine persönliche Kosten-Nutzen-Analyse. Bin ich 80-jährig und erkranke an Covid, dann habe ich eine 15-prozentige Wahrscheinlichkeit, daran zu sterben. Lasse ich mich impfen, so weiss ich, dass ich daran nicht sterbe. Bekomme ich nach zehn Jahren Nebenwirkungen, dann bin ich schon 90. Bin ich aber erst 18, dann habe ich ein geringeres Risiko eines schweren Verlaufs von Covid. Welchen Nutzen bringt mir also die Impfung? Da wiegen die offenen Fragen zur mRNA-Impfung schwerer. Die Fragen, was in fünf oder in zehn Jahren ist, die sind ungeklärt und die sind natürlich bei einer 80-jährigen Person anders zu werten als bei einer 18-jährigen. Ich kann also 18-Jährige bis zu einem gewissen Punkt verstehen, wenn die erst mal zuwarten. Den Entscheid, sich impfen zu lassen, muss jede und jeder für sich selber treffen.

Die Impfung selber bietet ja aber auch keinen 100-prozentigen Schutz ...
Nein, aber die Wirksamkeit wird mit etwa 95 Prozent angegeben.

Laut einem Artikel im Tages-Anzeiger haben sich Pharmakonzerne in Bezug auf ihre Covid-Impfstoffe von ihrer Haftpflicht entbinden lassen. Wird die Verantwortung jetzt einfach auf die Ärzte übertragen?
So einfach ist das nicht. Es gibt eine gesetzliche Kaskade, die nicht unwesentlich anders ist als sonst auch. Bei den Herstellern von Impfstoffen geht es im konkreten um solche seltenen Ereignisse. Impfstoffe werden früher zugelassen, im Wissen, dass die Zulassung auf einer Studie mit 40 000
Menschen basiert, von denen die Hälfte ein Placebo verabreicht bekam und das Ganze nur über den Zeitraum von einem halben Jahr beobachtet wurde. Und auch im Wissen, dass es zu selteneren, aber heute noch unbekannten Nebenwirkungen kommen kann. Aber zurück zur Frage, wenn ein Pharmaunternehmen einen verunreinigten Impfstoff liefert, dann haftet dieses selbstverständlich dafür. Zum Schluss der subsidiären Kaskade steht dann, für ganz exotische Vorkommnisse, noch ein Auffangnetz des Bundes.

Und die Rolle der Ärzte?
Die haften einfach innerhalb ihrer Sorgfaltspflicht. Sie müssen die Patienten aufklären und bei dem, was sie tun, sorgfältig vorgehen. Ärzte können nicht für unerwünschte Nebenerscheinungen verantwortlich gemacht werden, wenn sie zuvor ihrer Sorgfaltspflicht nachgekommen sind. Schon aber,
wenn sie beispielsweise nicht vorab abklären, ob ein Patient an einer Allergie leidet oder bei der Impfung die Einstichstelle nicht vorgängig desinfizieren und dem Patienten daraus gesundheitliche Probleme entstehen.

Unsicherheit entstand wohl auch, weil der Covid-Impfstoff für Viele viel zu schnell auf den Markt kam. Verstehen Sie solche Befürchtungen?
Das spezielle ist wirklich die erwähnte mRNA-Technologie. Sobald man die ‹RNA-Sequenz› des Virus kennt, kann man diese einfach – ‹copy paste› – kopieren. Diese Technologie kennt und erforscht man schon sehr lange, aber es kam noch nicht zur Marktreife. Ich habe mir sagen lassen, dass die
Forschung sehr kostenintensiv ist und es bisher einfach keinen Markt dafür gab.

Den man jetzt aber hat, und wie ...
Ja, aber sind wir ehrlich, mit impfen verdient man in der Regel kaum Geld. Impfungen müssen ein Allgemeingut sein und sollten für alle und überall erschwinglich sein. Eine Impfung im grossen Stil, beispielsweise gegen Tetanus, darf je nach Land nicht mehr als ein paar Cents bis ein paar Dollars
pro Dosis kosten. Die mRNA-Technologie ist von der Idee und Logik her eine wirklich bestechende und höchst elegante Methode. Jetzt muss man schauen, wie sie sich in der Praxis bewährt.

Dr. med. Marina Jamnicki Abegg ist seit Februar 2020 Bündner Kantonsärztin. Sie ist zudem Mitglied der eidgenössischen Impfkommission und Mitarbeiterin in diversen Arbeitsgruppen des Bundes zur Covid-Impfung.

Autor und Foto: Jon Duschletta