Wer schon einmal selbst vor Gericht gestanden hat oder regelmässig Prozesse verfolgt, weiss, wie wichtig eine ausgewogene, fachlich kompetente und neutrale Justiz als dritte Gewalt im Schweizer Staatswesen ist. Am kommenden 17. Mai werden die Regionalgerichte im Kanton Graubünden neu besetzt. Die Gerichte also, die für die erstinstanzliche Rechtssprechung auf den Gebieten des Zivil-, Straf- sowie Schuldbetreibungs- und Konkursrechts zuständig sind. Ob es in den verschiedenen Regionen tatsächlich zu einer offenen Wahl kommt, ist alles andere als sicher. Das Gesetz über die politischen Rechte im Kanton Graubünden lässt auch eine stille Wahl zu. Dann nämlich, wenn es genau so viele Kandidaten gibt, wie Sitze zu besetzen sind.
Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Fall in der Region Maloja eintritt, ist hoch. Möglich macht dies der freiwillige Parteiproporz. Das heisst, die Richterposten werden unter den politischen Parteien entsprechend ihrer Stärke verteilt. Damit können alle leben. Die SP und die SVP ziehen mit je einem Sitz ins Regionalgericht ein, die BDP behält ihr Mandat, die CVP bekommt einen zusätzlichen Sitz. Dies, weil der bisherige Gerichtspräsident zwar offiziell unabhängig ist, aber als CVP-nahe gilt und nicht mehr kandidiert. Die FDP als stärkste Partei erhält sowohl das Präsidium als auch das Vizepräsidium und zwei nebenamtliche Richterstellen.
Der Parteiproporz ist nicht nur schlecht. Das Bekenntnis eines Richters zu einer Partei zeigt mir als Wähler, wo dieser weltanschaulich steht. Und das in der Schweiz oft praktizierte (Wahl)System lässt zumindest die Hoffnung, dass am Gericht möglichst alle Wertehaltungen vertreten sind.
Trotzdem ist es falsch, wenn das Regionalgericht einzig nach den Bedürfnissen der Parteien und somit ohne echte Wahl besetzt wird. Zu Recht muss man sich in einem solchen Fall die Frage stellen, wo die in der Verfassung garantierte Unabhängigkeit der Justiz bleibt. Und wie es mit der Gewaltenteilung bestellt ist.
Ob es zu einer offenen oder einer stillen Wahl kommt, entscheiden aber weder die Parteien noch das Gericht. Sondern jeder einzelne Stimmbürger, der sich mit der Frage auseinandersetzt, ob er für ein solches Amt kandidieren möchte.
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Autor: Reto Stifel

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