Am 1. Januar 2016 ist das Zweitwohnungsgesetz (ZWG) in Kraft getreten. Dies nachdem die Schweizerinnen und Schweizer am 11. März 2012 die Zweitwohnungsinitiative angenommen hatten. Trotz der gesetzlichen Grundlage: In Detailfragen kommt es immer wieder zu Strittigkeiten, die auch die Gerichte beschäftigen. Am 8. Mai hat nun das Bundesgericht in Lausanne ein Urteil gefällt, welches wegweisend ist und Klarheit verschafft in Bezug auf die Anwendung von Artikel 11 im ZWG. Das höchste Schweizer Gericht hat nämlich festgehalten, dass es unzulässig ist, sogenannte altrechtliche Bauten – Bauten also, die am Tag der Annahme der Initiative rechtmässig bestanden haben oder bewilligt waren – abzubrechen, wiederaufzubauen und gleichzeitig zu erweitern. Und dies ohne den neuen Wohnraum einer Nutzungsbeschränkung zu unterstellen.

Mit/ohne Nutzungsbeschränkung?
Konkret ging es um einen Fall im Gebiet Punt Muragl auf Territorium der Gemeinde Samedan. Im Februar 2018 hatte die Baubehörde den Abbruch der Baute und den Neubau von zwei Wohnhäusern bewilligt. Für das Wohnhaus «Nord» wurde eine Nutzungsbeschränkung «Erstwohnung» auferlegt. Beim Wohnhaus «Süd» sollte die Hauptnutzfläche um rund 30 Prozent erweitert werden, ohne Nutzungsbeschränkung. Gegen das Baugesuch erhoben eine Erbengemeinschaft als direkte Nachbarn (Beschwerdeführer) Einsprache, diese wurde von der Gemeinde abgewiesen. Die daraufhin beim Verwaltungsgericht eingereichte Beschwerde wurde vor knapp einem Jahr ebenfalls abgewiesen. Die Beschwerdeführerin gelangte im September des letzten Jahres an das Bundesgericht und auch das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) rekurrierte gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichtes.
Dieses und die Gemeinde Samedan machten geltend, dass eine altrechtliche Wohnung in ihrer Nutzung frei sei und im Rahmen der vorbestehenden Hauptnutzfläche erneuert, umgebaut und wiederaufgebaut werden dürfe. Gleichzeitig könne die altrechtliche Wohnfläche um bis zu 30 Prozent erweitert werden, ohne Einschränkung der Wohnnutzung. Gemäss dem ZWG sei nämlich nur die Schaffung zusätzlicher Wohnungen ausgeschlossen. Für das Verwaltungsgericht und die Gemeinde Samedan ist nicht logisch, warum Erweiterungsmöglichkeiten nur für bestehenbleibende, nicht aber für wiederaufgebaute altrechtliche Wohnungen existieren sollen. Dies leuchte insbesondere vor dem Hintergrund der raumplanerischen Ziele der haushälterischen Bodennutzung und der inneren Verdichtung nicht ein.

Ein politischer Kompromiss
Das Bundesgericht kommt in seiner Begründung zu einem anderen Schluss. Es verweist auf Artikel 11 des ZWG. In Absatz 2 wird die bauliche Umgestaltung nur im Rahmen der vorbestandenen Hauptnutzfläche zugelassen, Artikel 3 lässt als Ausnahme eine Erweiterung um maximal 30 Prozent zu, mit dem klaren Hinweis «sofern keine zusätzlichen Wohnungen geschaffen werden.» Dabei handle es sich um einen politischen Kompromiss: Der Bundesrat wollte gar keine Erweiterungen zulassen, weil diese dem Ziel der Verfassungsartikel entgegenlaufen würden. Auch verweist das Bundesgericht auf die Debatte im Parlament, wo festgehalten worden sei, dass sich die 30 Prozent nur auf massvolle Erweiterungen von bestehenden Gebäuden beziehe. Dies, um notwendige Sanierungen und Modernisierungen zu ermöglichen, beispielsweise der Anbau eines Liftes oder einer Nasszelle.

Candinas: «Unnötige Einschränkung»
Für den Bündner CVP-Nationalrat Martin Candinas war diese Regelung schon bei der Beratung des ZWG viel zu einschränkend. Im Juni 2018 reichte er deshalb eine Motion ein, mit dem Ziel, dass der Passus «sofern keine zusätzlichen Wohnungen geschaffen werden», aus dem Gesetz gestrichen wird. Mit Antwort vom August des gleichen Jahres verweist der Bundesrat auf die Bundesverfassung, in welcher der Anteil der Zweitwohnungen am Gesamtbestand auf maximal 20 Prozent beschränkt wird. Würde die Motion von Candinas so angenommen, würde diese Grenze wegfallen. Auch der Bundesrat spricht von einem politischen Kompromiss. «Er geht an die Grenze dessen, was der Verfassungsartikel zulässt.»
Die Motion von Candinas wurde noch nicht behandelt und wird deshalb nach der Sommersession abgeschrieben. Candinas will deshalb in der laufenden Session eine neue parlamentarische Initiative einreichen. Das Urteil des Bundesgerichtes zeige, dass seine Motion ein mehr als berechtigtes Anliegen aufnehme und es umgehend und möglichst schnell eine Gesetzesänderung brauche. Das Verdikt überrascht ihn nicht sonderlich. «Das Zweitwohnungsgesetz wurde schlecht formuliert. Das Urteil ist eine weitere, völlig unnötige Einschränkung, die eine sinnvolle Bautätigkeit in unseren Dörfern verhindert», sagt er.

Autor: Reto Stifel

Foto: Daniel Zaugg