Wenn es auf nationaler Ebene um das Thema Zweitwohnungen geht, ist Martin Candinas ein gefragter Interviewpartner. Der CVP-Nationalrat aus Rabius im Bündner Oberland sitzt seit Oktober 2011 im Nationalrat. Er hat als Parlamentarier die Annahme der Zweitwohnungsinitiative miterlebt und auch den anschliessenden, mehrjährigen Gesetzgebungsprozess, welcher im Zweitwohnungsgesetz (ZWG) mündete. Dieses ist seit dem 1. Januar 2016 in Kraft. Candinas hat zuerst die Initiative bekämpft. Als diese im März 2012 von den Schweizer Stimmbürgern angenommen worden war, setzte er sich für eine liberale Gesetzesauslegung ein. Die Umsetzung, wie sie vom Parlament schliesslich gutgeheissen wurde, stellte ihn aber nicht zufrieden. Seither kämpft er mit parlamentarischen Vorstössen für eine Lockerung. «Nicht um auf der grünen Wiese Zweitwohnungen bauen zu können oder Zweitwohnungsquartiere zu ermöglichen», stellt er klar. Vielmehr setzt sich Candinas dafür ein, dass Investitionen in sogenannte altrechtliche Bauten, Häuser also, die bereits vor der Annahme der Zweitwohnungsinitiative rechtmässig bestanden haben, nach wie vor getätigt werden können und sich auch lohnen.

Perspektiven bieten
Gemäss Candinas werden mit dem heutigen ZWG solche Investitionen übermässig eingeschränkt, was nicht zuletzt die Einheimischen treffe. Wenn junge Leute schon in den Dörfern bleiben wollen, müsse ihnen auch eine Perspektive geboten werden. Mit den strengen Auflagen des ZWG aber würden solche Investitionen nicht getätigt, die alte Bausubstanz zerfalle. «Sind Ruinen im Dorf besser als neue Wohnungen?», stellt Candinas die rhetorische Frage.
Zusätzlich aufgeschreckt hat den Nationalrat das kürzlich publizierte Bundesgerichtsurteil, welches punkto Erneuerung und Erweiterung von Altbauten einer strengen Gesetzesauslegung folge. Die EP/PL hat in ihrer Ausgabe vom 9. Juni darüber berichtet. Darum hat der CVP-Politiker in der letzten Session eine parlamentarische Initiative eingereicht mit dem etwas sperrigen Titel «Unnötige und schädliche Beschränkung des Zweitwohnungsgesetzes in Sachen Abbruch und Wiederaufbau von altrechtlichen Wohnungen aufheben.» Gemäss Candinas sind es drei kleine, aber wichtige Änderungen, die er im ZWG anstrebt. Er möchte in Artikel 11 Absatz 3, welcher besagt, dass altrechtliche Wohnungen um maximal 30 Prozent der Hauptnutzfläche erweitert werden dürfen, die Bestimmung «sofern keine zusätzlichen Wohnungen geschaffen werden» streichen. Weiter soll auch beim Abbruch und Wiederaufbau von der Erweiterungsmöglichkeit Gebrauch gemacht werden können und schliesslich soll der Bauwillige den Standort des Wiederaufbaus auf seinem Grundstück frei wählen können. Bisher waren nur «geringfügige Standortverschiebungen» erlaubt. «Mit zusätzlichen Wohnungen könnten Altliegenschaften effizienter genutzt, zusätzliche Übernachtungen generiert und die Wertschöpfung gesteigert werden», schreibt Candinas in der Begründung.

Langer Gesetzgebungsprozess
Er freut sich über den starken Support für seine Initiative. 15 der 25 Mitglieder der zuständigen Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie hätten den letzten Freitag eingereichten Vorstoss unterzeichnet. Sollte die Kommission des Nationalrates zustimmen, müsste im Ständerat das Gleiche passieren bevor ein Gesetzesvorschlag erarbeitet werden könnte. Candinas macht sich keine Illusionen: «Auch wenn es nur um kleine Anpassungen geht, dürfte der Prozess zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen», sagt er. Doch Warten ist er sich gewohnt. Eine im Juni 2018 eingereichte Motion mit dem praktisch identischen Inhalt wie diese Initiative wurde in der am letzten Freitag zu Ende gegangenen Sommersession wegen zu vielen pendenten Vorstössen abgeschrieben. Ohne dass sie vom Parlament behandelt worden wäre. Und im Mai 2019 verlangte er in einer Motion vom Bundesrat die negativen Auswirkungen des Gesetzes auf die betroffenen Gebiete zu evaluieren und dem Parlament konkrete Revisionspunkte zum ZWG vorzuschlagen. Auch diese Motion ist noch hängig.

Am Ziel vorbeigeschossen
So oder so, für Martin Candinas ist klar: Die Hauptanliegen der Zweitwohnungsinitiative, nämlich keine neuen Zweitwohnungen auf der grünen Wiese, keine Kulturlandverschwendung und keine weitere Zersiedelung mit Zweitwohnungen, sind erfüllt. «Dass mit dem Gesetz aber auch die Eigentumsrechte der Einheimischen eingeschränkt werden, hat sicher niemand gewollt, der damals dieser Initiative zugestimmt hat», ist der Nationalrat überzeugt.

Autor: Reto Stifel

Foto: Daniel Zaugg