Den ganzen Nachmittag habe ich Holz geschleppt und Paletten auseinandergenommen. Und am Abend wurde meine ganze Arbeit dann verbrannt. Ich sass mit den anderen Hüttengehilfen am Feuer, dick eingepackt in den braunen Decken und mit einer feinen Schoggi-Melange in der Hand – unsere Spezialität. Als das Feuer langsam ausgebrannt war und alle Hüttengäste zurück in der Unterkunft waren, sass ich noch immer da, die Schoggi-Melange ausgetrunken, den Blick nach oben gerichtet. Der Sternenhimmel war atemberaubend.
So ein Erlebnis hatte ich danach nie mehr. Klar habe ich hin und wieder mal Schoggi-Melange getrunken, draussen am Feuer gesessen oder die Sterne beobachtet, aber diese Kombination – und dann auch noch am 1. August ist so nie wieder passiert.

Fern vom Engadin
Als ich vor zwei Jahren nach Zürich gezogen bin, fiel der Feiertag auf einen Mittwoch. Ich konnte also nicht für einen Abend kurz nach Hause kommen und musste ihn deswegen im Unterland verbringen. Ehrlich gesagt war es ziemlich einsam, ich war neu in der Stadt, kannte nicht viele Leute und fand mich in der «Grossstadt» sowieso schwer zurecht. So kam auch unmöglich ein Gefühl, wie ich es auf der Chamanna d’Es-cha erlebt habe.
Letztes Jahr bin ich während dieser Zeit gereist und habe zufälligerweise mitten in Ljubljana, Slowenien, zwei Engadinerinnen getroffen, die ich seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Der Ausgang in der kleinen Hauptstadt war nicht schlecht, doch wenn niemand weiss, dass wir gerade unseren Nationaltag feiern, ist es auch nicht so das Wahre. Schoggi-Melange hatte es übrigens auch keine.

In diesem Jahr ist alles anders
Und dieses Jahr ist sowieso alles anders. Eigentlich hätte ich den 1. August irgendwo in Südamerika verbracht, wahrscheinlich in Bolivien. Wäre ich dort den Sternen so nahe gewesen wie auf der Es-cha? Hätte ich wieder «es Füürli» gemacht und meine Schoggi-Melange getrunken? Vielleicht, doch wir wissen alle, was passiert ist, und jetzt bin ich im Engadin.
Ich setze nun meine ganze Hoffnung auf den diesjährigen 1. August. Das Gefühl von Angehörigkeit und Heimat ist an diesem speziellen Tag so präsent, doch für mich ist das nur spürbar, wenn ich im Engadin bin. Wenn ich über die Jahre etwas gelernt habe, dann das. So viel Kantönli-Geist darf wohl sein, oder? Ich gehe deswegen auch erst am Sonntag in die Ferien, damit ich dieses Gefühl am 1. August wieder mal suchen und hoffentlich finden kann. Mein Plan ist es also, mit Decken und Schoggi-Melange bewaffnet in die Höhe zu gehen und von dort aus das Feuer und die Sterne zu bewundern. Vielleicht hat es Corona allem zum Trotz gut mit mir gemeint, und möchte unbedingt, dass ich wieder einmal meine Heimat so richtig spüren kann. Damit ich nicht vergesse, woher ich komme.

Autorin: Gianna Duschletta

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