Auch zehn Jahre, nachdem die UN das Recht auf Wasser zu einem Menschenrecht wie Bildung oder freie Meinungsäusserung erklärt hat, kämpfen weltweit immer noch 800 Millionen Menschen Tag für Tag um Zugang zu sauberem Wasser.
Was hierzulande längst ein unreflektiertes, weil gewohntes Privileg ist, darüber entscheidet hingegen ganz anders die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Wasser in vielen Ländern dieser Welt über Leben und Tod. Und das täglich. Aber die Verfügbarkeit von sauberem Wasser ist nur die eine Seite dieser schmutzigen, weil menschgemachten Situation. Die andere traurige Seite ist die Tatsache, dass zweieinhalb Milliarden Menschen keinen Zugang zu sanitären Anlagen haben und ihr Abwasser nicht ableiten können.
Zum Vergleich: Laut der UN zählt die Weltbevölkerung aktuell rund 7,8 Milliarden Menschen, und jedes Jahr kommen rund 78 Millionen dazu. Erst 1960 knackte die Anzahl Weltbürger die Drei-Milliarden-Grenze. Gründe genug, mit dem Bündner Wasserbotschafter Ernst Bromeis die aktuelle Lage rund um das Menschenrecht auf Wasser zu erörtern, auf die letzten zehn Jahre zurückzublicken, um herauszufinden, woran es liegt, dass auch nach dieser Zeit die Situation, obschon einiges passiert, für die Betroffenen nicht wirklich besser geworden ist.

Es gehe in keiner Art und Weise darum, Menschenrechte gegeneinander auszuspielen, sagt Ernst Bromeis, Grenzschwimmer und Graubündens Wasserbotschafter. Trotzdem ist er froh, dass das «Recht auf Wasser» innerhalb der Vereinten Nationen (UN) mittlerweile unter die ersten zehn vordringlichsten Rechte der Menschheit vorgedrungen ist.
Angesichts von rund 800 Millionen Menschen, die weltweit immer noch keinen garantierten Zugang zu sauberem Wasser haben und tagtäglich darum kämpfen müssen, dürfte dieses Menschenrecht aus Sicht Bromeis durchaus auch ganz zuoberst auf der Gewichtungsskala stehen. «Trotzdem», gibt er sich pragmatisch, «darf man auch nicht vergessen, dass in absoluten Zahlen gemessen, auf der Welt noch nie so viel Wohlstand geherrscht hat wie heute.»

Im Netzwerk der Menschenrechte
Das «Recht auf Wasser» ist deshalb so wichtig, weil es «eng verknüpft ist mit anderen Menschenrechten. Ohne Wasser keinen Frieden, ohne Frieden keine Bildung», beginnt Bromeis ein Beispiel, welches sich beliebig fortsetzen liesse. Immerhin würden sich seit ein paar Jahren Entwicklungen bemerkbar machen, dahingehend, dass staatliche Organisationen etwas Abstand von der bis anhin praktizierten, monopolistischen Denkweise nehmen und Projektkooperationen mit privatwirtschaftlichen Unternehmen eingingen. Beispielsweise, wenn die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA mit dem Industrieunternehmen Georg Fischer projektbezogen zusammenspannt.
Positiv auch, dass die Zeit vorbei ist, «als der Weisse kam, als Sponsor auftrat, irgendwo in Afrika einen Brunnen baute und wieder verschwand.» Heute sei die Mitwirkung der Betroffenen von zentraler Bedeutung für den Erfolg der meisten Hilfsprojekte, so Bromeis. Dies nicht zuletzt dank neueren Instrumenten wie Mikrokrediten und anderen.
Der aktuellen Weltlage und der politischen Strömungen geschuldet, könne der Wandel aber eigentlich nur von der Basis her eingeläutet werden. «Wichtig ist dabei jeder einzelne kleine Schritt, begonnen, wo überhaupt möglich und als basisdemokratische Struktur implementiert, bei Wahlen, der freien Entscheidungsmöglichkeit und über die freie Meinungsäusserung – selbst auch ein deklariertes Menschenrecht.
Als eine langfristig negative Entwicklung sieht Ernst Bromeis hingegen das schier ungebremste Wachstum der grossen Städte, wo sich immer mehr Menschen in der Hoffnung auf ein besseres Leben ansiedeln und ohne Intention entsprechend Druck auf die städtische Infrastruktur ausüben würden. «Schon der Gelehrte Leonardo Da Vinci hat zu seiner Zeit erkannt, dass Städte nur in Verbindung mit Wasser funktionieren», so Bromeis.

Falsch verstandenes Wasserschloss
Eben zurück von den italienischen Dolomiten, wo Ernst Bromeis ein Referat zu seinem Lebenswerk «Das blaue Wunder» hielt, kritisiert er Aussagen wie «Graubünden sei das Wasserschloss Europas» oder «Wasser, das blaue Gold». Bezeichnungen, die nicht stimmen und im falschen Zusammenhang gebraucht würden. «Ein Wasserschloss – beispielsweise im Bereich der Wasserenergie – ist ein menschengemachtes Konstrukt. Graubünden ist, wenn überhaupt, dann die Quelle Europas», so Bromeis, «einfach nur ein Glück und ein Geschenk der Natur und kein wirtschaftliches Gut.»
Philosophisch betrachtet, sollte sich der moderne Mensch laut Bromeis wieder auf die Wertsetzungen seine Vorfahren besinnen und auf deren Gabe, die naturgemäss gegebenen Ressourcen als solche zu erkennen und entsprechend mit ihnen umzugehen. «Während der Industrialisierung wurde aus Quellen ein Rohstoff und Wasser wurde ökonomisiert. Auch wenn wir darin immer noch das «Blaue Gold» sehen, so geht es nicht darum, Wasser zu vermarkten – meisterhaft umgesetzt von der Mineralwasserindustrie – sondern Wasser als Gut, als Quelle des Lebens zu sehen, als Geschenk der Natur.»
Und hier schlägt Wasserbotschafter Ernst Bromeis wieder die Brücke zum «Recht auf Wasser» und seine Forderung, aus Recht eine Pflicht zu machen: «Weil wir in Graubünden dieses Geschenk haben, stehen wir auch in der Pflicht, dieses Gut mit anderen zu teilen.» Eine Einsicht, die ihm im letzten Jahr in Sibirien einmal mehr so richtig vor Augen geführt wurde, als er den Baikalsee durchschwimmen wollte und sein Vorhaben nach zehn Tage aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste. Da wurde er nämlich von einem Einheimischen gefragt, ob Wasser für ihn eine Seele habe. «Diese für die dortige Bevölkerung absolut selbstverständliche Frage haben wir uns hier im Engadin oder im Kanton Graubünden noch nie gestellt.» Weshalb nicht? «Weil Wasser hier weniger natürliches Gut als vielmehr eine wirtschaftliche Grösse ist.»

www.dasblauewunder.ch

Autor und Foto: Jon Duschletta