«Die Karteikarten waren Mittel zum Zweck», sagt Rolf Zollinger und versorgt einige Karten in der Kartei. Drei grosse Holzkisten mit insgesamt rund 20 000 Karteikarten lagert Zollinger in seinem Büro mit Sicht auf das Areal des ehemaligen Hotels Waldhaus in Vulpera. Zwischen 1920 und 1960 notierte das Personal die Vorlieben und Eigenheiten der illustren Hotelgäste. «Wir kennen unsere Hotelgäste auch heute noch», sagt der ehemalige Hoteldirektor, jedoch stehen heute die Vorlieben der Gäste im Zentrum und nicht die Erkenntnisse und Meinungen des Personals zu den Gästen. Zollinger versorgt die drei Holzkisten an ihrem Platz, umringt von vielen «Requisiten» aus der Zeit des Hotels Waldhaus in Vulpera. Und wer sein Büro betritt, macht unmittelbar eine Reise in eine ganz besondere Zeit, als Vulpera der Mittelpunkt des Kur- und Bädertourismus war. Und im Zentrum immer Hoteldirektor Rolf Zollinger, der mit viel Leidenschaft seine Geschichten erzählt, als wäre die Zeit stehen geblieben. Er lebt in einem Museum, in einem Traum voller Erinnerungen, in seiner eigenen Welt.

Den Flammen zum Opfer gefallen
Am 27. Mai 1989, morgens um 5.00 Uhr, holte Lärm auf der Strasse Rolf Zollinger aus seinem Traum. Er öffnete seine Haustüre und sah, wie Rauch aus einigen Fenstern des schräg gegenüberliegenden Hotels Waldhaus aufstieg. «Wir versuchten durch eine Türe ins Innere des Gebäudes zu gelangen, um die Rauchursache zu suchen», erzählt er von diesem Moment, welcher in bester Erinnerung geblieben ist. Doch es war umsonst. Nach wenigen Minuten stand das historische Gebäude in Vollbrand. Das Schicksal war besiegelt: Das Hotel Waldhaus brannte bis auf die Grundmauern nieder. Wenige Tage später wollte Zollinger als Generaldirektor das Hotel für die Sommersaison eröffnen. Geblieben ist nur eine Brandruine, welche das Resultat von Brandstiftung war. Die Täterschaft konnte bis heute nicht ermittelt werden. Noch heute raubt dieser Brand Zollinger den Schlaf: «Ich will nicht mehr wissen, wer den Brand gelegt hat, sondern ich möchte den Grund dafür erfahren», sagt er fast 32 Jahre später und nimmt die damalige Katastrophe persönlich. «Die Besitzer haben ein Hotel und Kapital verloren – ich persönlich habe damals mein Herz verloren», so Zollinger.

Generaldirektor mit Leidenschaft
Rolf Zollinger machte 1962 eine Kochlehre in St. Moritz, gefolgt von einer Hotelierausbildung. Er hat dann in verschiedenen grossen und namhaften Hotels im In- und Ausland gearbeitet. Im Jahre 1981 kam er als Generaldirektor nach Vulpera und führte alle Geschäfte der Vulpera Hotels AG. Dieser Aktiengesellschaft gehörten alle Hotels und Restaurants in Vulpera an, das Ferienzentrum mit rund 300 Ferienwohnungen und der Tennis- und Golfplatz. «Bereits damals arbeiteten wir als Ferienressort», sagt er. Was heute ein Erfolgsrezept sein kann, war damals eher zum Scheitern verurteilt. Bereits im Januar 1982 wurde die Nachlassstundung verfügt, im Mai 1983 wurde der Konkurs eröffnet. Nach über drei Jahrzehnten erklärt Zollinger, dass die Hotels eigentlich gut gearbeitet hätten, dass die dezentralen Betriebe und die Ferienwohnungen die grössten Sorgen bereiteten. Im Oktober 1983 übernahm die Kantonalbank alle Gebäude für 9,5 Millionen Franken, und später ging alles für die Hälfte des Betrages an Renato Testa aus St. Moritz.

«Alte Dame» hat nicht losgelassen
Anstatt anderswo seine Karriere fortzusetzen, blieb Rolf Zollinger Vulpera treu. Er hatte an diesem speziellen Ort ein Zuhause gefunden, welches er nicht mehr verlassen hat. Nicht, als der Club Robinson das Hotel Schweizerhof und Scuol Palace übernommen hat. Und auch nicht, als das Hotel Waldhaus den Flammen zum Opfer gefallen war. Zollinger hat später das Hotel Villa Post übernommen und erfolgreich mit viel Leidenschaft geführt. Ohne Kompromisse hat er immer dem Gast gedient. Er nahm sich für jedem Gast Zeit und erzählte noch so gerne eine Geschichte aus der Blütezeit in Vulpera. Das Hotel Villa Post hat er in der Zwischenzeit verkauft, aber die «Alte Dame», das Hotel Waldhaus, hat ihn auch nach der Pensionierung nicht losgelassen. Im vergangenen Jahr ist das Buch mit der Geschichte des Grand Hotel Waldhaus von Jochen Ziegelmann erschienen und vor einigen Wochen nun das bereits vergriffene Buch «Keine Ostergrüsse mehr!» zu den Karteikarten. Für beide Werke spielte Rolf Zollinger eine zentrale Rolle. «Und bald entsteht ein Dokumentarfilm über die Brandkatastrophe», erklärt er und schaut auf die mit Schnee bedeckte Gartenanlage mit zahlreichen Relikten des ehemaligen Hotels Waldhaus. Zollinger schwelgt weiterhin in Erinnerungen, und seine Augen glänzen. Auch wenn die grossen Tage in Vulpera längstens vergangen sind, will Zollinger mit dem Dokumentarfilm das letzte Kapitel der Geschichte schreiben und endlich die Frage beantworten, warum das Hotel Waldhaus den Flammen zum Opfer fiel. Erst dann ist seine Mission beendet – und er kann seinen Frieden finden. Hoffnung für eine touristische Zukunft des Waldhaus-Areals hat er keine mehr.

Text: Nicolo Bass