Christian Jott Jenny, der Gemeindepräsident von St. Moritz, ist weiterhin ohne Vorstrafe: Das Zürcher Bezirksgericht hat den 42-jährigen Entertainer und Polit-Quereinsteiger am Mittwoch vom Vorwurf der Urheberrechtsverletzung freigesprochen.

Jenny war angeklagt, weil er alte Zürcher Liedtexte ohne Erlaubnis abgeändert haben soll. Der Staatsanwalt und die Erben des Liedermachers Werner Wollenberger wollten ihn wegen Verletzung des Urheberrechts verurteilt sehen. Der Staatsanwalt verlangte für den Gemeindepräsidenten eine bedingt Geldstrafe und eine Busse.

Jenny argumentierte während des Prozesses aber, dass die ganze Produktion der "Trittligass-Balladen" eine Parodie gewesen sei. Und für Parodien braucht es von Gesetzes wegen kein Einverständnis der Urheberrechts-Inhaber, in diesem Fall von Sohn und Witwe des 1982 verstorbenen Liedermachers Werner Wollenberger.

Die Richterin war gleicher Ansicht wie Jenny. Bei den abgeänderten Liedern für die "Trittligass-Balladen" habe es sich tatsächlich um eine Parodie gehandelt. "Die durchschnittlich gut informierte Zürcherin kennt die Werke Wollenbergers."

 

Wenn in den Texten von Justin Bieber und WLAN gesungen werde, seien die alten Texte zwar abgeändert, aber immer noch erkennbar. Aktuelle Themen seien von Jenny humoristisch angeprangert und "in die für uns Zürcher durchaus identitätsstiftenden Werke verpackt worden".

Die Richterin sprach Jenny deshalb vollumfänglich frei. Er erhält nun 25'000 Franken aus der Gerichtskasse, um seinen Rechtsanwalt zu zahlen. Bei ihrem Freispruch stützte sich die Richterin auf die so genannte "Parodie-Schranke", welche die Kunst- und Meinungsäusserungsfreiheit in der Schweiz sicherstellen soll. Bisher gibt es allerdings wenig Rechtssprechung auf diesem Gebiet.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Staatsanwalt und Erben können es noch ans Ober- und ans Bundesgericht weiterziehen.

Die Richterin persönlich wünscht sich aber eigentlich einen anderen Ausgang dieses Falls, nämlich dass sich Jenny und die Erben doch noch zusammenraufen. "Eine gemeinsame Hommage wäre dem wunderbaren Werk von Werner Wollenberger angemessen."

 

Eine gemeinsame Produktion mit Wollenberger-Stücken auf die Beine zu stellen, war ursprünglich auch geplant. Jedoch wurden sich Jenny und die Erben nicht einig darüber, ob ein Teil des Ticket-Erlöses in die Wollenberger-Stiftung fliessen sollte und wenn ja, wie viel.

"Die Auseinandersetzung verlagerte sich irgendwie auf die persönliche Ebene", so Jennys Anwalt dazu. Der Anwalt von Wollenbergers Sohn wiederum sagte, dass "Herr Wollenberger immer davon ausging, dass man sich noch einig wird." Leider sei der gute Willen enttäuscht worden.

(sda)

Die EP/PL hat bereits in der Ausgabe vom 6. Mai ausfürlich über den Fall berichtet:

Wird das Strafgericht auch zum Humorgericht?

Ist der Entertainer Christian Jott Jenny ein Verbrecher, weil er Texte von Liedern abgeändert hat? Der St. Moritzer muss vor dem Bezirksgericht Zürich wegen angeblicher Verletzung von Urheberrechten antraben. Ein Fall, der weitreichende Folgen für die Unterhaltungsbranche haben könnte.

Würde die Anklageschrift vor dem Bezirksgericht Zürich vorgetragen, müsste sie gesungen werden. Was sich da auf 16 Seiten präsentiert, dürfte wohl kaum je ein Gericht zu sehen bekommen haben. Denn eigentlich ist die Anklage gegen ein Liedtextbuch gerichtet, in dem die Originalpassagen der alten Zürich-Lieder, die bei den Theateraufführungen der Trittligass-Balladen gespielt wurden, aufgelistet sind. Urheber vieler dieser Lieder war der 1982 verstorbene Werner Wollenberger. Seine Erben zerren Jenny nun vors Gericht, sie machen Urheberrechtsverletzungen geltend. Dabei werden in der Anklage-schrift die Originaltexte den Versionen gegenübergestellt, wie Christian Jott Jenny sie in den insgesamt 22 Aufführungen zwischen August 2017 und Juni 2018 vorgetragen hat. Jenny war Initiator und mit seinem «Amt für Ideen» Produzent der Aufführungen und hat selbst mitgespielt. Die Trittligass-Balladen begeisterten damals ein grosses Publikum, und die Kritiker in den Medien waren des Lobes voll.

Geldstrafe und Busse gefordert

Bereits 2018, mitten in Jennys Wahlkampf um das St. Moritzer Gemeindepräsidium, wurde bekannt, dass die Werner-Wollenberger-Stiftung gegen Jenny Strafanzeige erstattet hatte. Die Stiftung kümmert sich um den Nachlass des Schweizer Schriftstellers, Publizisten, Satirikers und Regisseurs. Sie monierte, dass Jenny bei seinen Aufführungen Liedtexte in abgeänderter Form und ohne vorherige Genehmigung verwendet habe. Die Staatsanwaltschaft ist auf die Klage eingetreten, der Fall wird am 19. Mai vor dem Bezirksgericht Zürich verhandelt. Der Straftatbestand: «Verbrechen gegen das Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte», wie es in der Anklageschrift heisst. Der Staatsanwalt fordert eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 370 Franken, insgesamt 33 000 Franken, mit bedingtem Vollzug. Zudem soll Jenny eine Busse von 8300 Franken zahlen.

Eine Liedzeile, ein Verbrechen?

Dass ein solcher Streitfall nicht auf dem zivilrechtlichen Weg gelöst wird und bei der Strafbehörde landet, ist für den Zürcher Theaterautor Michael Rüegg sehr speziell. «Das Strafgericht fungiert in diesem Fall als Humorgericht, mir ist kein ähnlicher Fall bekannt», sagt Rüegg als Sprecher des von Jenny geführten «Amtes für Ideen» auf Anfrage. Er staunt, mit welchen Spitzfindigkeiten gegen die angebliche Urheberrechtsverletzung argumentiert wird. Bean-standet werden Änderungen in Textpassagen. Im Lied «Stand uuf chliini Stadt» schildert Jenny Probleme mit dem WLAN, und beim Lied «Am Bellevue» kommen in der modernisierten Form Justin Bieber sowie Prinz William und Herzogin Kate vor. Aber selbst weggelassene Liedzeilen oder Strophen gelten für den Staatsanwalt als Verletzung des Urheberrechtes. «Das heisst, eine weggelassene Liedzeile bedeutet ein Verbrechen», wundert sich Rüegg.

Er gibt zu bedenken, dass Jenny die Urheberrechte ordnungsgemäss über die Schweizer Genossenschaft der Urheber und Verleger von Musik (SUISA) abgegolten hat. Dass eine zusätzliche Abgeltung für abgeänderte oder weggelassene Passagen geltend gemacht werde, sei für ihn höchst ungewöhnlich. «Was ist, wenn eine Radiostation ein Lied nicht zu Ende spielt, weil die Nachrichten kommen oder wenn der Pfarrer nur drei von fünf Strophen eines Kirchenliedes singen lässt? Machen sich dann die Radiomoderatorin oder der Pfarrer respektive die Kirchgänger, die das Lied singen, auch strafbar?», stellt er die rhetorische Frage.

Ein Präjudizfall mit Folgen

Trotz der Skurrilität des Falles – das Urteil könnte gemäss Rüegg schwerwiegende Folgen für die Unterhaltungsbranche haben. Würde Jenny verurteilt, würde eine Praxis, die heute gang und gäbe ist, verboten. «Dass neue Strophen kreiert und Sachen abgeändert werden, damit sie aktuell bleiben, wurde und wird immer wieder gemacht.» Gerade auch die Zürich-Lieder seien bereits früher immer wieder aktualisiert worden. «Das ist Tradition, mit dem Ziel, Kulturgut jener Zeit zu erhalten und wieder zu verbreiten», sagt Rüegg. Bei den Aufführungen der Trittligass-Ballade habe wohl niemand im Publikum das Gefühl gehabt, dass es sich nicht um ein Wollenberger-Lied handle. «Das zeigt mir, dass ein Werk als solches bestehen bleibt, auch wenn es nicht im absoluten Originalzustand aufgeführt wird», sagt Rüegg. Über den Ausgang des Prozesses mag er nicht spekulieren. In der Haut der Einzelrichterin am Bezirksgericht möchte er aber nicht stecken. «Sie betritt mit diesem Fall absolutes Neuland. Es gibt im Urheberrecht wohl keine Praxis, auf die sie zurückgreifen könnte.»

Aussergerichtliche Einigung scheiterte

Christian Jott Jenny hatte die Vorwürfe wegen Urheberrechtsverletzung bereits 2018 der EP/PL gegenüber dementiert. Er würde seit über 20 Jahren auf und hinter der Bühne arbeiten, die Einhaltung der Rechte von Urhebern sei ihm ein wichtiges Anliegen, sagte er damals. Obwohl man die Vorwürfe und Forderungen nicht habe nachvollziehen können, habe man der Stiftung 2017 vorgeschlagen, eine Benefiz-Veranstaltung durchzuführen und den Erlös, mindestens 10 000 Franken, der Stiftung zu überweisen. Ohne Erfolg, die Angelegenheit wurde zum Rechtsfall. Zwei Tage vor der Premiere der Musikrevue versuchte die Wollenberger-Stiftung erfolglos, die Aufführung mit einer superprovisorischen Verfügung zu stoppen.

Bewegender Moment war strafbar

Zum aktuell laufenden Verfahren will sich Jenny nicht äussern. Eine Szene aber bleibt ihm in besonderer Erinnerung. Bei der Trauerfeier für den verstorbenen Zürcher Pfarrer Ernst Sieber sang Jenny im Grossmünster das Lied «Mis Dach isch de Himmel vo Züri.» «Ernst Sieber mochte dieses Lied sehr, und auch ich war während dem Singen extrem berührt und habe unbeabsichtigt sechs Zeilen des Liedes ausgelassen.» Das könnte ihm nun zum Verhängnis werden. Denn in der Anklageschrift wird unter dem Stichwort «Tatvorgehen» peinlich genau aufgeführt, welche sechs Zeilen Jenny nicht gesungen hat– und sich damit strafbar gemacht habe. Zu diesem Lied des Bündners Zarli Cariget gibt es noch eine andere Anekdote. Die frühere Chefin von RTR, Ladina Heimgartner, hatte Jenny die Liedzeile «Mys Dach isch de Himmel vo Züri» spontan auf Romanisch übersetzt. So sang er fortan: «Mais tet es il chel da Turitg.» Ein weiterer Straftatbestand, für den sich Jenny nun vor dem Bezirksgericht verantworten muss.

Autor Reto Stifel

Foto: Henry Schulz