Wer vor dem Bezirksgericht Zürich am Mittwoch Nachmittag einen Gerichtsprozess mit komödiantischen Einlagen erwartet hatte, der lag falsch. Zu nüchtern die Umgebung und trotz allem zu ernst die Sache, um die gestritten wurde. Eine kurze Rekapitulation: Der St. Moritzer Gemeindepräsident und Entertainer Christian Jott Jenny war angeklagt, weil er alte Zürcher Liedtexte ohne Erlaubnis abgeändert haben soll. Der Staatsanwalt und die Erben von Werner Wollenberger, der die Liedtexte zu «Eusi chli Stadt» in den sechziger Jahren geschrieben hatte, wollten ihn wegen Verletzung des Urheberrechts verurteilt sehen. Der Staatsanwalt verlangte für den Gemeindepräsidenten eine bedingte Geldstrafe und eine Busse wegen «Verbrechen gegen das Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte». Die EP/PL hat in ihrer Ausgabe vom 6. Mai ausführlich über den Fall berichtet.

 

«Passend gemacht»

Anlässlich der von der Zürcher Einzelrichterin straff geführten Verhandlung kam es wenig überraschend zu keinen neuen Erkenntnissen. Der Anwalt der Privatkläger sagte, dass die von Jenny anlässlich der Trittligass-Aufführungen 2017 und 2018 dargebotenen Lieder in ganz anderer Gestalt dahergekommen seien, als sie Werner Wollenberger ursprünglich geschrieben habe. «Was nicht gepasst hat, wurde passend gemacht», sagte er. Dabei seien sowohl die Werkintegrität wie auch das urheberrechtliche Veränderungsrecht verletzt worden.

Ganz anders sah das Jenny, der sich vor dem Gericht wortkarg gab und vor allem seinen Anwalt reden liess. Für ihn war die ganze Produktion der «Trittligass-Balladen» eine Parodie und dafür brauche es kein Einverständnis der Inhaber der Urheberrechte, also des Sohns und der Witwe des 1982 verstorbenen Werner Wollenbergers. Abgesehen von den Nutzungsgebühren an den Werken, welche Jenny über die Suisa abgerechnet hatte. Der Anwalt von Jenny betonte, dass die «Trittligass-Balladen» vom Publikum und den Medien als Parodie wahrgenommen worden sind. «Die Musikrevue hat einen kritisch-humoristischen Bezug genommen auf das aktuelle Zeitgeschehen in Zürich.» Dem entgegnete Wollenbergers Anwalt, dass die «Parodie-Schranke» nicht dazu da sei, Eingriffe in das Werk zu rechtfertigen.

Artikel 11 im Urheberrechtsgesetz befasst sich mit der Werkintegrität. Dort steht zwar, dass es bei einer Veränderung an bestehenden Werken die Einwilligung des Autors oder dessen Erben bedarf. Allerdings ist auch eine Ausnahme aufgeführt, die Parodie-Schranke: «Zulässig ist die Verwendung bestehender Werke zur Schaffung von Parodien oder mit ihnen vergleichbaren Abwandlungen des Werks», heisst es dort wörtlich. 

 

Kunstfreiheit soll gewährleistet sein

Genau auf diesen Passus stützte sich die Richterin bei ihrem Freispruch für Jenny. Sie sagte, dass mit dieser «Parodie-Schranke», ganz generell die Meinungsäusserungsfreiheit und spezifisch auch die Kunstfreiheit in der Schweiz sichergestellt werden soll. Ein Grundrecht, in welches nur in sehr engen Schranken eingegriffen werden könne. Beim Urteil habe das Gericht eine Gesamtbetrachtung vorgenommen und sich nicht auf einzelne Liedzeilen beschränkt. Wenn in den Texten von Justin Bieber und WLAN gesungen werde, seien die alten Texte zwar abgeändert, aber immer noch erkennbar. «Die Musikrevue ist eine klare, scharfe und kritische Beobachtung des Autors auf die heutige Zürcher Gesellschaft», sagte sie.

Und sie äusserte am Ende der Urteilsverkündung auch ein paar persönliche Gedanken. An die Adresse von Thomas Wollenberger gewandt sagte sie, dass sie das Werk von Werner Wollenberger bewundere. Und an beide Parteien gerichtet betonte sie, wie sehr sie es bedaure, dass es trotz Versuchen nie gelungen sei, eine gemeinsame Benefiz-Veranstaltung für die Wollenberger-Stiftung auf die Beine zu stellen. Sie gab ihrer Hoffnung Ausdruck, dass sich Jenny und die Erben doch noch zusammenraufen. «Eine gemeinsame Hommage wäre dem wunderbaren Werk von Werner Wollenberger angemessen», sagte sie.

 

Jenny wäre für Hommage bereit

Wie Christian Jott Jenny nach der Urteilsverkündung gegenüber der EP/PL sagte, will er das unbedingt versuchen. «Wir sind bereit für Gespräche und offen, diese Hommage gemeinsam zu organisieren.» Die Urteilsbegründung der Richterin bezeichnet er als «gut und gescheit.» Dies, weil es letztendlich um eine freie Gesellschaft gehe und damit auch um die Kunstfreiheit. «Wenn solche Sachen unterbunden werden, ist das der Beginn der Diktatur». Die Freiheit, altes Kulturgut in das Heute zu holen, sei extrem wichtig, um dieses überhaupt erhalten zu können.

 

Entscheid über Weiterzug offen

Für die Privatkläger nimmt deren Anwalt gegenüber der EP/PL Stellung. «Das Bezirksgericht hat Herrn Jenny freigesprochen, weil es die von ihm zu verantwortenden Werkänderungen als Parodie qualifizierte. Zu diesem Zweck vertrat das Gericht ein sehr weites Verständnis der Parodie-Schranke, das unserer Rechtsauffassung widerspricht», sagt er. Ein Entscheid über einen allfälligen Weiterzug sei noch nicht gefallen. «Wir werden diese Frage in den nächsten Tagen aber sorgfältig prüfen, um dann in Abwägung aller damit verbundenen Vor- und Nachteile darüber zu entscheiden.» Auf die Frage, ob man sich eine gemeinsame Hommage-Veranstaltung vorstellen könne, sagt er, dass sowohl Thomas Wollenberger und die Wollenberger Stiftung grundsätzlich immer interessiert und erfreut an Anlässen seien, an denen das Werkschaffen Werner Wollenbergers gewürdigt werde. «Sie haben sich auch zu keinem Zeitpunkt einer von Herrn Jenny veranstalteten Hommage verschlossen.» Ob es tatsächlich dazu kommen werde, bleibe abzuwarten, bis jetzt habe sich Herr Jenny auf jeden Fall nicht bei Herrn Wollenberger gemeldet. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Staatsanwalt und Erben können dieses ans Ober- und ans Bundesgericht weiterziehen.

 

Autor: Reto Stifel

Foto: Henry Schulz