Wer die Bilder der teils schweren Erfrierungen sieht, die die Athleten an der La Diagonela davongetragen haben, fragt sich: Musste das sein? Musste das Rennen bei arktischen Temperaturen gestartet werden? Hätte der Anlass angesichts der prognostizierten Kälte nicht auf die Mittagsstunden verschoben werden müssen? Die spontane Antwort aus dem Bauchgefühl heraus: Nein, das Rennen hätte nicht stattfinden dürfen, Reglement hin oder her. Das aber ist die retrospektive Betrachtung. Die Betrachtung im Wissen, dass es zu diesen schweren Verletzungen gekommen ist. Im Nachhinein weiss man bekanntlich immer alles besser.
Nach dem Abwägen aller Aussagen und nicht nur aus dem Bauchgefühl heraus beurteilt, kommt man zum Schluss, dass die Jury ihre Verantwortung im Rahmen der Reglemente und Paragraphen wahrgenommen hat. Auch kann den Organisatoren sicher nicht der Vorwurf gemacht werden, sie hätten leichtfertig gehandelt und sich zu wenig um die Sicherheit der Sportler gekümmert. Von den Athletinnen und Athleten und ihren Teams muss erwartet werden können, dass sie sich als Profis entsprechend auf ein Rennen vorbereiten. Dass es extrem kalt werden würde, war nicht erst am Samstag klar.
Es gilt, daraus die Lehren zu ziehen. Drei Punkte seien hier erwähnt. Erstens und zentral: das FIS-Reglement. Ist es aus medizinischer Sicht tatsächlich vertretbar, erst bei einer Temperatur von minus 25 Grad oder kälter Langdistanzrennen abzusagen? Rennen, notabene, die über 50 Kilometer und mehr führen und bei denen die Athleten entsprechend lange der Kälte ausgesetzt sind? Zweitens, die Kommunikation. Wenn nach dem Rennen in einer Medienmitteilung von «knackigen Temperaturen» und einem «perfekten Start in die Langlaufsaison» geschrieben wird, ist das angesichts der leidtragenden Athleten ein Affront. Das späte Zurückrudern auf öffentlichen Druck schafft kein Vertrauen. Und das führt zu Punkt drei: Die La Diagonela ist in «normalen» Zeiten ein Volkslauf. Wenn er das bleiben soll, muss es den Organisatoren rasch gelingen aufzuzeigen, dass in der Situation anders gehandelt worden wäre, wenn am Samstag über 1000 Sportler hätten starten können.
Dass die Verantwortlichen die Vorkommnisse rasch aufarbeiten wollen, ist lobenswert. Zu hoffen ist, dass dann auch die richtigen Lehren gezogen werden.

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Autor: Reto Stifel

Foto: Björn Reichert/Nordic Focus