Am Abend des 2. Januar führte Martina Gorfer ihren Hirtenhund-Mischling Nina zum Auslauf auf den St. Moritzersee. Die Hündin durfte von der Leine, und just in dem Augenblick wurden in der Nähe Silvesterraketen in den Abendhimmel gefeuert und explodier-ten mit lautem Knall. Der Vierbeiner hat sich ob der Detonation derart erschrocken, dass er in der Folge in den nahen Wald geflüchtet ist. «Ich konnte meine Hündin danach nicht mehr finden und hab mir natürlich sehr grosse Sorgen gemacht», sagt die Hundehalterin. Die Suche nach der ausgebüxten Hündin war mit grossem Aufwand und nach zwei langen Tagen endlich von Erfolg gekrönt. 

Viel Unterstützung

«Ich habe auf den sozialen Medien gepostet, dass mein Hund vor dem Feuerwerk geflohen ist und vermisst wird», sagt die Juristin. Dabei habe sie sehr viel Unterstützung erfahren, aber auch viele Meldungen von Tierbesitzern, die mit ihren Vierbeinern an den Tagen rund um Silvester und den 1. August grosse Probleme haben. «Es waren nicht nur Hundebesitzer darunter, auch Halter von Katzen und Pferden haben immer wieder Probleme durch die grossen Knallereien, die schon während des Tages losgehen und noch Tage nach dem eigentlichen Ereignis andauern.» Aufgefallen ist ihr bei all den Reaktionen, dass die meisten die traditionellen Feuerwerke als unsinnig und nicht mehr vertretbar erachten.«Für die meisten überwiegen die zahlreichen negativen Auswirkungen.» Sie störten sich an der hohen Feinstaubbelastung durch Feuerwerke und seien auch um das Wohl wilder Tiere wegen der Lärmemissionen besorgt, so die Rechtsanwältin. Gorfer teilt diese Sorgen und verweist dabei auf Stellungnahmen des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) im Rahmen eines Bundesgerichtsentscheides von 2019. Das Bafu führt dabei unter anderem aus, dass «das Gehör und das Wohlbe-finden von Tieren durch Knallgeräu-sche gefährdet werden könnte. Feuerwerke können bei Tieren insbesondere zu einer Erhöhung der Herzfrequenz führen und Ausweichbewegungen, Flucht und Aborte zur Folge haben.» Dies decke sich auch mit Untersuchungen des Schweizer Tierschutzes, wonach die Knalleffekte zum Beispiel bei Hunden zu Stress und Angst führen, mit Symptomen wie Hecheln, Zittern, Fluchtversuchen, Aufreissen der Pupillen, erhöhter Herz- und Atemfrequenz und bei der oft panikartigen Flucht Verletzungs- und Unfallgefahr bestehe, so Gorfer.Nicht nur das Tierwohl beschäftigt die FDP-Gemeinderätin. Auch die Feinstaubbelastung durch Feuerwerke und der dazugehörende Abfall sind Thema: «In einer Zeit, in der Umweltschutz und Klimaveränderungen im Bewusstsein der Menschen angekommen sind, ist es einfach nicht mehr zeitgemäss, dass zum Beispiel der St. Moritzersee bei grossen Feuerwerken regelrecht mit Feinstaub, Russ und ausgebrannten Raketen zugedeckt wird.» 


360 Tonnen Feinstaub

Gemäss Bafu werden in der Schweiz jährlich rund 2000 Tonnen Feuerwerkskörper verbraucht und dadurch 360 Tonnen Feinstaub emittiert. Das entspreche knapp zwei Prozent der jährlichen Feinstaubemissionen. Und durch den Abbrand von Feuerwerken würden auch Metalle wie Kalium, Aluminium, Barium und Magnesium freigesetzt sowie geringe Mengen an kanzerogenen und persistenten, also schwer abbaubaren organischen Schadstoffen. Martina Gorfer will in nächster Zeit den Puls der Bevölkerung in St. Moritz zum Thema Feuerwerk fühlen und bei genügend Rückhalt politisch aktiv gegen das Abbrennen von Feuerwerk werden. «Kein Gast wird deswegen St. Moritz den Rücken kehren – im Gegenteil.» St. Moritz habe schliesslich mit der Drohnenshow vom letzten Neujahrstag bewiesen, dass der Tourismusort innovativ und mutig genug ist, neue Wege zu beschreiten.Zumindest was die offiziellen Neujahrsfeiern angeht, dürfte künftig in St. Moritz kaum mehr in den Himmel geballert werden. Auf Anfrage sagt Adrian Ehrbar, Direktor St. Moritz Tourismus: «St. Moritz Tourismus plant auch in Zukunft eine nachhaltige Neujahrsfeier. Wir hatten nach der sehr erfolgreichen Drohnenshow am 1. Januar 2020 auch für 2021 eine geplant. Aufgrund der aktuellen Situation mussten wir aber auf eine Durchführung verzichten.» Damals hätten sich über 4000 Leute vor Ort eingefunden. Auch sei das mediale Interesse ebenfalls sehr gross gewesen – auch international. «Das nächste Mal findet am 1. Januar 2022 in St. Moritz eine Drohnenshow statt», verspricht Ehrbar, und: «nicht ausgeschlossen ist auch, dass wir an einem anderen Termin zu einer passenden Gelegenheit die neue Technik einsetzen werden.»St. Moritz Tourismus habe sehr viele positive Rückmeldungen erhalten – von Gästen, von Einheimischen wie auch aus der ganzen Welt. «Dies hat uns sehr gefreut und uns bestätigt. Vereinzelt gab es auch kritische Stimmen, die sich ein Feuerwerk zurückwünschen. Diese Stimmen sind aber ganz klar in der Minderheit», so Ehrbar.Von einem generellen Feuerwerksverbot hält der Touristiker nicht viel, denn: «Von Verboten sehen wir in St. Moritz generell und wenn immer möglich, ab. St. Moritz zeichnet sich seit vielen Jahrzehnten genau aus dem Grund aus. In St. Moritz kann jeder so sein, wie er möchte. Deshalb verzeichnen wir eine grosse Dichte an Künstlern und Querdenkern, die St. Moritz besuchen und hier teilweise sogar sesshaft sind.»

St. Moritz setzt auf Zeitgeist

Ausserdem sei St. Moritz Tourismus überzeugt, den Zeitgeist getroffen zu haben. Eine Drohnenshow verursache keinen Feinstaub, und die Tierwelt werde nicht durch Knaller erschreckt. Wenn in der Gesellschaft Feuerwerksveranstaltungen plötzlich nicht mehr «in» seien, würden sie von selbst abnehmen und ganz verschwinden. «Eine Tendenz in diese Richtung ist nicht nur bei uns klar erkennbar, sondern auch international. Und wir sind überzeugt, dass es in diese Richtung geht. Denn die ökologischen Themen, die wir weltweit haben, nehmen eine immer grössere Rolle in der Wahrnehmung unserer Gäste und der nächsten Generationen ein», hat Ehrbar gute Nachrichten für Martina Gorfers Hund Nina und all die anderen vom Lärm gepeinigten Vierbeiner.

Foto und Autor: Daniel Zaugg