Vor zwei Wochen hat im Rahmen der Langdistanz-Langlaufserie Visma Ski Classics das Klassischrennen La Diagonela über 60 Kilometer mit Start und Ziel in Zuoz stattgefunden. Aufgrund der extrem tiefen Temperaturen erlitten verschiedene Läuferinnen und Läufer teils schwere Erfrierungen. Die EP/PL hat in ihrer Ausgabe vom 21. Januar ausführlich darüber berichtet. Wegen der Corona-Pandemie waren nur 138 Profiathleten am Start, im Normalfall sind es über 1000, die meisten von ihnen sind Volksläufer.
Im Nachgang zum Rennen versprachen die Verantwortlichen der Visma Ski Classics, den Vorfall mit den Teams aufzuarbeiten. CEO David Nilsson bestätigt, dass vor einer Woche, vor dem Rennen in Toblach eine Aussprache stattgefunden hat. «Es war ein guter Austausch, und wir waren uns einig, dass es nicht darum geht, nach Schuldigen zu suchen, sondern gute Lösungen für die Zukunft zu finden.» Allen sei bewusst, dass die Jury-Entscheide und Empfehlungen klar gewesen seien und sich die Jury auf die entsprechenden Artikel im Reglement des Internationalen Skiverbandes (FIS) für Langdistanzrennen abgestützt habe. «Trotzdem haben etliche Athleten Erfrierungen erlitten. Das bedaure ich sehr und die Frage, wie es so weit hat kommen können, bleibt», sagt Nilsson.

Wärmende Kleider erlauben
Konkret möchten die Verantwortlichen erreichen, dass aus dem FIS-Reglement ein Passus gestrichen wird, wonach es den Profiläufern – und nur für sie gilt dieser Passus – verboten ist, beispielsweise beheizbare Socken und Handschuhe oder warme Überziehkleidung anzuziehen. Bei der La Diagonela hatte die Jury diese Ausnahmen zum Reglement am Freitagabend respektive Samstagmorgen vor dem Rennen explizit erlaubt. Nilsson ist überzeugt davon, würden diese Möglichkeiten von Anfang zugelassen, die Teams noch besser ausgerüstet zu den Rennen erscheinen. Sollte die Reglements-Änderung bei der FIS nicht durchgehen, werde man das sicher in den Vorschriften zur Visma Ski Classics aufnehmen, sagt Nilsson.

Eine Absage ist nicht so einfach
Er appelliert aber auch an die Eigenverantwortung der Athletinnen und Athleten. «Die äusseren Bedingungen wie Schnee und Kälte gehören zu unserem Sport. Entsprechend müssen sie sich darauf vorbereiten.» Er weiss, dass im hohen Norden Rennen bei noch tieferen Temperaturen stattgefunden haben. Ein Rennen abzusagen oder den Start allenfalls nach hinten zu verschieben, seien Optionen, die im Einzelfall sicher geprüft werden müssten. «So einfach, wie es tönt, ist es nicht», gibt Nilsson zu bedenken. Als Beispiel nennt er den Vasaloppet in Schweden, der Klassiker mit rund 16 000 Läuferinnen und Läufern am Start. Diese hätten sich ein Jahr lang auf den Lauf vorbereitet, ein hohes Startgeld bezahlt und seien teils von weit her angereist. Da überlege man es sich zwei Mal, den Anlass abzusagen. Eine Verschiebung der Startzeit wäre ebenfalls problematisch. «Die 16 000 Sportler hätten keine Möglichkeit, sich im Startgelände an einen warmen Ort zu begeben, sie wären der Kälte noch viel länger ausgesetzt.» Ähnlich hatte auch das lokale OK der La Diagonela argumentiert. Dort waren zwar nur 138 Profis am Start, aufgrund der Covid-19-Schutzmassnahmen gab es aber keine Möglichkeit, sich in einen geheizten Innenbereich zu begeben.

Andere Vorschriften beim Weltcup
Gemäss den Richtlinien für Volksski-Langlaufwettkämpfe –und in diesen Geltungsbereich fallen die Visma Ski Classics – müssen Wettkämpfe abgesagt oder verschoben werden, sofern die Temperatur auf dem grösseren Teil der Strecke unter minus 25 Grad ist. Interessanterweise gelten für Weltcup-Rennen oder Weltmeisterschaften andere Bestimmungen. «Falls die Temperatur unter –20 Grad liegt, gemessen am kältesten Punkt der Strecke, wird der Wettkampf durch die Jury verschoben oder abgesagt», heisst es in der gleichen «Internationalen Skiwettkampfordnung (IWO)».

FIS nimmt keine Stellung
Gerne hätte die EP/PL vom Internationalen Skiverband auf verschiedene Fragen Antworten bekommen. Nach welchen Grundsätzen die Temperaturwerte festgelegt werden beispielsweise, oder ob es aus Sicht der FIS aus medizinischen Überlegungen tatsächlich zu verantworten ist, bei Temperaturen von –20 bis –25 Grad Langlauf-Langstreckenrennen durchzuführen. Trotz mehrmaliger Nachfrage hat die FIS keine Stellungnahme abgegeben.

Auf dem Weg der Besserung
Wie aber geht es den Athleten, die Erfrierungen erlitten haben? Die EP hat auch beim deutschen Langlauf-Profi Patrick Ottilinger nachgefragt. «So weit geht es mir wieder ganz gut. Ich habe zwar noch kein Gefühl in meinen Fingern, aber ich bin optimistisch, dass alles wieder genesen wird.» Die schwedische Athletin Britta Norgren lässt über die sozialen Medien verlauten, dass die Heilung der erfrorenen Zehen voranschreitet und sie jetzt ohne grössere Probleme stehen und gehen kann. Die Heilung werde drei bis sechs Wochen dauern, sie hofft, ihr Training bald wieder aufnehmen zu können.
Der Norweger Andreas Nygaard, der ebenfalls Erfrierungen an den Händen erlitten hatte und sich in einem italienischen Spital einer Operation unterziehen musste, sagt: «Die Zeit heilt hoffentlich alle Wunden. Ob es sechs oder zwölf Wochen dauert, bis ich wieder am Start bin, bleibt abzuwarten.»

Autoren: Denise Kley und Reto Stifel

Foto: Björn Reichert/Nordic Focus