Fettreserven anfressen, Winterdecke anlegen, Bewegungsaktivität reduzieren, Körpertemperatur und Puls senken, den Stoffwechsel minimieren und die Verdauungsorgane verkleinern: Es ist ein ausgeklügelter Überlebensapparat, welcher das Wild strenge Winter überleben lässt. Das zeigt der verantwortliche Redaktor der Zeitschrift «Bündner Jäger», Walter Candreia, in einem spannenden Artikel in der Februar-Ausgabe auf.
Er beobachtet bereits seit längerer Zeit Rehe am Julierpass auf über 2000 Meter über Meer. Auf dieser Höhe und in dieser Kälte muss jeder Schritt durchdacht sein. Gerade nach extrem kalten Nächten und bei Neuschnee, wo die Rehe noch passiver sind als sonst schon und sich die Körpertemperatur erst mittags an der wärmenden Sonne erhöht. Was hat Candreia nach dem letzten grossen Schneefall Mitte Januar beobachtet? «Die erfahrene Geiss hat erst am späten Nachmittag kräftezehrend gepfadet. Das von Mut und Lebensweisheit geprägte Muttertier suchte vorerst nur mit ihrem Bockkitz den möglichen Futterplatz», schreibt er. Später seien ihr neun der insgesamt 17 Rehe gefolgt. Die Lage schien mit nichts anderem als Felsen und massenhaft Schnee eigentlich hoffnungslos zu sein. «Die Führerin hat aber mehrere hundert Meter lang gesucht. Die Schwächeren und Unerfahrenen profitierten von ihr, liefen leichtfüssiger hinterher.» Nach etlichen Pausen hat die Leitgeiss mehrmals die Richtung gewechselt und wurde schliesslich auf einem dem Wind ausgesetzten Plateau fündig. «Die Geiss wusste ganz genau, dass in den grössten Notzeiten starke Nachtwinde für sie den Joker bedeuten würde.» Will heissen, dort, wo windbedingt weniger Schnee liegt, lässt sich schneller Futter finden. Diese Beobachtung zeigt gemäss Candreia auch auf, wie zentral die Erfahrung der Tiere für das Überleben in harten Zeiten ist.

Autor: (ep)

Foto: Walter Candreia