«Weniger Seesaiblinge wegen giftiger Fluorwachse?» So der Titel eines Artikels in der EP/PL von vor gut einem Jahr. Die Diskussion ausgelöst hatte Radi Hofstetter, Präsident des kantonalen Fischereiverbandes Graubünden (siehe Interview auf dieser Seite) mit seiner These, dass der Abrieb der giftigen Fluorwachse, welcher in die Oberengadiner Gewässer gelangt, verantwortlich sein könnte für den massiven Fangrückgang von Seesaiblingen. Hofstetter betonte damals, dass es sich nur um eine These handle und vertiefte Untersuchungen angebracht wären. Auch Fischereibiologe Marcel Michel wünschte sich, dass der Hypothese weiter nachgegangen wird. Das geschieht nun mit einer breit angelegten Untersuchung in diesem Sommer, erste Resultate sollen bis Ende Jahr vorliegen (siehe Artikel auf der ersten Seite).
Fluor war und ist immer noch fester Bestandteil im Skiwachs. Weil Fluorverbindungen nicht abbaubar und schädlich für Mensch und Umwelt sind, hat der Internationale Skiverband (FIS) sämtliche Fluorwachse bei allen FIS-Rennen von Ski Alpin über Langlauf bis zum Biathlon ab dem kommenden Winter verboten. Ursprünglich war das Verbot schon für den letzten Winter geplant gewesen, mangels Alternativen wurde es um ein Jahr verschoben.

Farbstoff als Gleitmittel
Dass es diese Alternative gibt, zeigt die Isantin GmbH in Altstätten. Im Vergleich zu den grossen Wachsfirmen Toko oder Swix spielte das Zwei-Mann-Familien-Unternehmen auf dem Wachsmarkt bisher kaum eine Rolle. «Wir sind ein kleines Start-up mit einem Nischenprodukt», sagt Peter Bützer, der die Firma zusammen mit seinem Sohn Marcel betreibt. Er ist Chemiker und begeisterter Langläufer. Ein weiteres Hobby von ihm ist die Erforschung der Farbe Blau. Er sah das Foto eines Tuareg, der einen tiefblauen Turban trug, welcher metallen glänzte. Bützer vermutete, dass dieser Farbstoff «Indigo» sich auch als Gleitmittel auf Schnee eignen könnte. Vater und Sohn tüftelten an einer geeigneten Applikation, welche über all die Jahre verfeinert wurde und heute als «Skiwachs» Isantin auf dem Markt ist.

Nicht nur grünes Deckmäntelchen
Mit einem herkömmlichen Wachs hat Isantin nichts gemein. Das Produkt ist ein Hochleistungsgleitmittel, welches auf pflanzlichen Stoffen basiert und damit 100 Prozent frei ist von Perfluorcarbonen, welche biologisch nicht abbaubar sind. «Isantin ist ungiftig und ökologisch», sagt Bützer und erläutert seine Aussage. Ein pflanzliches Produkt sei für die Wiederverwendung in der Natur zwar geschaffen, aber in Konkurrenz mit anderen Pflanzen und für die Abwehr von Schädlingen auch nicht immer harmlos. Auch für Menschen seien nicht alle pflanzlichen Stoffe unkritisch, sagt er mit Verweis auf Giftpflanzen. «Darum mussten wir die unkritischen Eigenschaften detailliert nachweisen. Damit ist Isantin nicht einfach ein Produkt mit einem grünen Deckmäntelchen», sagt Bützer. Allerdrings ist ihm aber auch bewusst, dass die Langläuferinnen und Langläufer noch lange nicht überzeugt sind, nur weil eine kleine Firma ein ökologisches Produkt auf den Markt bring. Denn für sie muss das Wachs vor allem auch schnell sein. Dass dies Isantin ist, zeigen Messungen, welche das Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos 2019 durchgeführt hat. Im wichtigsten Temperatur-Bereich von minus 1 bis minus 8 Grad schlägt Bützers patentierte Erfindung die hochfluorierten Wachse.

Ein Innosuisse-Projekt
Zurzeit gibt es zwei Produkte, die gemäss Bützer den Temperaturbereich von warm (Nassschnee) bis kalt optimal abdecken. Bei extrem kalten Bedingungen, wie sie im Engadin herrschen können, ist ein Produkt in der Entwicklungs-Pipeline. Isantin ist auch Bestandteil eines Innosuisse-Projektes, bei dem die kleinen Details des Gleitverhaltens noch verbessert werden. In dieses Projekt sind auch Swiss-Ski, die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und die Fachhochschule St. Gallen involviert.
Einer, der Isantin bereits seit drei Jahren testet, ist der frühere Weltcup-Langläufer Curdin Perl, er wird auf der Homepage des Unternehmen als Partner aufgeführt. Für den Silser ist klar, dass das neue Wachs ein Riesenpotenzial hat. Insbesondere, weil es einen komplett anderen Ansatz verfolgt, als die konventionellen Wachse, auf die die grossen Firmen immer noch setzen. Er konnte sich davon überzeugen, dass Isantin bei gewissen Verhältnissen sehr schnell ist, bei feuchtem Schnee aber noch weiterentwickelt werden muss. «Das braucht viele Tests und Geduld.» Weitere Vorteile sieht er in der einfachen Anwendung – Isantin wird nur auf den Belag aufgerieben, aber nicht eingebügelt – und in der langen Gebrauchsdauer. Gemäss Firmenangaben können bis zu 70 Kilometer gelaufen werden, ohne dass die Gleiteigenschaft beeinträchtigt wird.
Grosse Wachshersteller wie Toko betonen, dass sie längst Fluorwachse ohne die stärksten C8-Fluorverbindungen produzieren würden. Diese seien genau so leistungsfähig wie die bald verbotenen Fluorwachse. «Sie als Konsument können darauf vertrauen, dass Sie ausschliesslich Produkte kaufen, welche den strengsten gesetzlichen Vorschriften bezüglich Fluorverwendung in der EU entsprechen», heisst es in einem Merkblatt auf der Internet-seite von Toko.
Nur: Die FIS ist einen Schritt weitergegangen als die EU und hat nicht nur die C8-Wachse verboten, sondern gleich alle Wachse mit Fluorverbin-dungen. Allerdings gilt diese Einschränkung nicht für den Breitensport. «Für die Allgemeinheit sind Fluorwachse trotz ihrer Giftigkeit und Umweltschädlichkeit nach wie vor zugelassen», kritisiert Bützer. Als Ersatz für fluorierte Verbindungen würden häufig Stoffe eingesetzt, die aktuell zwar noch zulässig, aber alles andere als unbedenklich seien. Als Beispiel nennt er die häufig verwendeten Siloxane. «Siloxane kommen in der Natur nicht vor. Sie sind schwer abbaubar, weshalb einige als besonders besorgniserregende Stoffe eingestuft sind.»
Die Diskussion rund um das Fluor fokussiert zurzeit stark auf das Thema Wachse. Wie Fischereibiologe Marcel Michel bereits vor einem Jahr gegenüber der EP/PL sagte, kommen die schädlichen Verbindungen aber auch anderenorts zum Einsatz. In Teflon, Gortex-Materialien, Polituren oder wasserabweisenden Verpackungen zum Beispiel.

Autor: Reto Stifel

Fotos: Daniel Zaugg und z. Vfg