Wie dämlich muss man sich anstellen, um einen Tag im Waadtländer Weinbaugebiet Lavaux zu verbringen, ohne einen einzigen Tropfen edlen Rebensaftes abzubekommen? Sehr dämlich, aber es geht. Die Geschichte beginnt am Vortag am Thunersee: Wir geniessen einen feinen Weissen aus dem Weinbaugebiet La Côte. Erst recht freuen wir uns nun auf den geplanten Ausflug an den Lac Léman. Sicher, auch im Lavaux auf einen guten Tropfen zu stossen, vermeiden wir es tunlichst, uns dort nach dem Weissen aus der Nachbarregion zu erkundigen. Denkste!
Nach Kaffee in Lausanne-Ouchy verschmähen wir die schon vollen Terrassen an der Riviera bei Pully und gönnen uns anstelle eines Apéros ein feines Stück Birnenwähe aus einer Bäckerei. Volle Terrassen auch später in Lutry. Wir bestellen uns deshalb an der lauschigen Place de la Couronne an einem kleinen Bistrotisch etwas zu essen. Die Besitzerin ist Feuer und Flamme für ihr eben eröffnetes Geschäft mit frischen und ausschliesslich regionalen Produkten inklusive heimischen Bieren und Weinen, aber «malheureusement» hat sie noch keine Verkaufslizenz für alkoholische Getränke. Gestärkt, aber nüchtern steigen wir danach in die Weinberge, geniessen den weiten Blick von Châtelard auf das Lavaux, den See und das ferne Frankreich. Weit und breit kein Winzer in Sicht, keine offene Weinkellertüre, ja nicht mal ein vergessenes Glas Chasselas am Wegrand. Ein Einheimischer weist uns den Weg zu einem Degustationsbetrieb. Hier gibt’s tatsächlich Wein, aber «malheureusement» sind gerade alle Plätze besetzt oder reserviert. Wir insistieren und willigen ein, fünf Minuten auf einen freien Tisch zu warten. An diesem geniessen wir zehn Minuten lang die grandiose Aussicht, ohne den Winzer wieder zu Gesicht zu bekommen und verabschieden uns so nüchtern wie ernüchtert auf Französisch.
Die Zeit wird knapp, wir müssen zurück. In Lausanne wittern wir unterhalb des Bahnhofs unsere letzte Chance. Ein Tischchen und zwei Stühle sind frei, aber das Scannen des Registrierungs-codes funktioniert «malheureusement» nicht. Dank der netten Bedienung wissen wir nun aber immerhin, dass wir zuerst eine App herunterladen und uns dort registrieren müssen. Der gemütliche Umtrunk ist vorbei, bevor er begonnen hat. Also Plan B: Der Supermarkt am Bahnhof. Mit einer edlen Weissweinflasche aus dem Lavaux in der Hand erkundigen wir uns beim Verkaufspersonal nach Plastikbechern – «malheureusement» – es soll nicht sein, nicht heute. Die teure Flasche wandert zur Strafe zurück ins Regal und wird gegen eine Dose laues Bier getauscht. Wir bezahlen und ab die Post. Schon bald grüssen wir aus dem Zugsabteil das Lavaux: «Au revoir – malgré tout!» und fragen uns, ob wir beim nächsten Besuch den Wein nicht am besten gleich selber mitbringen sollen?

Autor und Foto: Jon Duschletta
jon.duschletta@engadinerpost.ch