Selina Nicolay ist seit letztem Herbst Gemeindepräsidentin von Bever und Grossrätin. So bekommt sie an vorderster Front mit, wie viele Einheimische bezahlbaren Wohnraum suchen. Stefan Engler vertritt den Kanton Graubünden seit 2011 im Ständerat. Er hat mitgeholfen, aus der vom Volk angenommenen Zweitwohnungsinitia­ti­ve einen Gesetzestext zu formulieren. Marcus Caduff ist Bündner Volkswirtschaftsdirektor und in dieser Funktion ständig mit Fragen rund um das Zweitwohnungsgesetz, die Raumplanung und fehlende Wohnungen konfron­tiert. Stefan Metzger schliesslich befasst sich als Fachanwalt von Berufes wegen mit dieser Thematik. Als Oberenga­diner Grossrat beschäftigt er sich auch auf dem politischen Parkett mit diesen Fragen. 

Das Thema der Wohnungsnot ist omnipräsent. «Wohnungsnot als Luxusgut: Die Knappheit auf dem Schweizer Immobilienmarkt wird zum Dauerproblem», hat beispielsweise die «NZZ am Sonntag» kürzlich getitelt. Und sich dabei auf eine Studie von Raiffeisen berufen, welche ausgerechnet hat, dass sich die Zahl der online ausgeschriebenen Wohnungen in zwei Jahren halbiert hat. Und gemäss dem Beratungsunternehmen Wüest Partner fehlen der Schweiz in drei Jahren mindestens 50 000 Wohnungen – weil viel zu wenig gebaut wird. Selbst die Schweizer Ausgabe von «Die Zeit» hat letzte Woche unter dem Titel «Zu teuer zum Leben» von den fehlenden Wohnungen in vielen Schweizer Orten geschrieben, mit Fokus auf die von Pontresina geplante Einführung einer Lenkungsabgabe.

Ein runder Tisch in Chur
Auch die «Engadiner Post/Posta Ladina» beschäftigt sich seit weit über zwei Jahrzehnten immer wieder mit dem Thema Wohnungsnot. Grund genug für die Redaktion, einen runden Tisch zu organisieren, um mit Politikerinnen und Politikern über das Thema zu sprechen und gemeinsam nach möglichen Lösungen zu suchen. So viel sei vorneweg schon verraten: Das Ei des Kolumbus wurde in der einstündigen engagierten Diskus­sion erwartungsgemäss nicht gefunden. Denn das Problem ist äusserst komplex und vielschichtig. Ein Schluss, der aus dem Gespräch gezogen werden kann: Eine massgeschneiderte Lösung für die ganze Schweiz oder auch nur einzelne Kantone gibt es nicht. Das Problem soll nämlich auf der untersten Staatsebene – der Gemeinde – identifiziert, analysiert und wo möglich auch gelöst werden. Entsprechende Werkzeuge würden zur Verfügung stehen und Gemeinden mit Baulandreserven sollten diese möglichst rasch mit Wohnungen für Einheimische bebauen. Dass der Druck auf altrechtliche Wohnungen zugenommen hat, war unbestritten. Allerdings wurde vor allem von den Juristen am runden Tisch mehrfach darauf hingewiesen, dass bei solchen Wohnungen der Besitzstand und die Eigentumsgarantie gilt.

Verschiedene Problempunkte
Dass das Raumplanungsgesetz, welches eine nachhaltige Siedlungsentwicklung mit verdichtetem Bauen stipuliert und viele Gemeinden gezwungen sind, Bauland auszuzonen, wurde während des Gesprächs ebenfalls als nicht sehr hilfreich bezeichnet. Umso mehr das Gesetz keine Differenzierung vornimmt und alle Kantone über die gleichen Leisten schlägt. 

Mehrheitlich einig waren sich Nicolay, Engler, Caduff und Metzger auch, dass es tiefe Leerwohnungsbestände schon immer gegeben hat, diese aber oft von Zyklen abgelöst wurden, in denen genügend Wohnraum vorhanden war. Dass die Situation in ein paar Jahren auch im Engadin schon wieder ganz anders aussehen könnte, wollte ein Teil der Teilnehmenden nicht ausschliessen. Dann beispielsweise, wenn alte und kleine Wohnungen nach der Zeit der Einführung des Stockwerkeigentumsrechts auf den Markt kommen, weil die nachfolgenden Generationen kein Interesse mehr an solchen Wohnungen haben. 

Das Gespräch am runden Tisch mit Selina Nicolay, Stefan Engler, Marcus Caduff und Stefan Metzger wird als Interview in den nächsten Ausgaben der EP/PL veröffentlicht. Am kommenden Samstag geht es im ersten Teil um Fragen der Wohnraumgrösse, den Blick zurück auf die Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative, die Rolle des Raumplanungsgesetzes und wie die langsamen Verfahrensabläufe beschleunigt werden könnten. 

Autor und Foto: Reto Stifel