Es war einmal ein Mann und eine Frau, die hatten dreizehn Kinder. Als das dreizehnte geboren war, sagte der Vater zur Mutter: «Ich weiss gar nicht, was für einen Namen wir ihm geben sollen; alle Namen unserer Verwandten sind schon vergeben; wie soll er bloss heissen?» Die Mutter antwortete: «Weisst du was? Er soll Tredeschin, der kleine Dreizehn heissen.» Und tatsächlich, der Bub wurde Tredeschin getauft.
So beginnt eines der beliebtesten Engadiner Märchen: Tredeschin. Erzählt wird es in den «Parevlas engiadinaisas» von Autor Gian Bundi mit den berühmten Illustrationen von Giovanni Giacometti. Es ist die Geschichte eines gewitzten Jungen, der mit seiner Gabe als Geschichtenerzähler und Geigenspieler in die Welt hinauszieht und Dank Mut und List zum Erfolg gelangt.
Tredeschin, leder fin, cura tuornast?
Als Stallknecht beginnt er seine Laufbahn am Palast des französischen Königs, am Ende ehelicht er des Königs Tochter. Dazwischen legt er sich mit dem türkischen Sultan an, holt Schimmel, eine royale Decke und einen Wunder-Papagei an den französischen Hof. Jedes Engadiner Kind kennt den erzürnten Ruf des Sultans: «Tredeschin, leder fin, cura tuornast?» (Tredeschin, schlauer Dieb, wann kommst du zurück?) Und die selbstbewusste Antwort des kleinen Tredeschin: «Cò ad ün an, cÒ ad ün an, cun mieu ütil, cun tieu dan!» (Heute in einem Jahr, mir zum Nutzen, dir zum Schaden!).
Mit Zauberwesen und Musik
Diesen Sommer zieht Origens Commedia erneut von Dorf zu Dorf. Das kleine Ensemble spielt das Stück Tredeschin auf Dorfplätzen, in Gemeindesälen und Turnhallen. Am vergangenen Freitagabend machte das Wandertheater auch im Schlosshof Planta Wildenberg in Zernez Halt.
Das von Regisseur Fabrizio Pestilli inszenierte Theaterstück erzählt eine leicht abgewandelte Version, mit Zauberwesen Bobbie, magischem Amulett und Heimweh am Ende der Geschichte. All dies wird mit viel Witz erzählt, mit Musik und Akrobatik – und vor allem fünfsprachig, inklusive Rätoromanisch.
Die Darstellenden (Judith von Orelli, Candice Bogousslavskaya, Simone Ganser, Davide Romeo, Antonio Ghezzani) stammen aus verschiedenen Teilen der Schweiz, von Lausanne über das Zürcher Oberland bis Lugano. Sie switchen durch alle Landessprachen und ins Englische und bringen das Publikum zum Lachen und Staunen.
Einfach nur ein gutes Gefühl
Die Inszenierung ist nahe genug am Original, um den Wiedererkennungseffekt zu wecken, und dennoch so originell, dass sie immer wieder überrascht. So wird die Zauberdecke zum Leben erweckt, indem eine Darstellerin darin steckt, Tredeschin nutzt das Liebesamulett um den Sultan als verkleidete Kurtisane zu überlisten und die Dekadenz am Hof wird in Form von einem in Spitzenunterwäsche gekleideten Königspaar gezeigt.
«Die Welt der Märchen ist fähig, uns immer wieder zu begeistern. Diese halb reale, halb fantastische Welt zieht uns an und wiegt uns in Fragen, die wir uns nie bewusst gestellt haben, zeigt uns nie gesehene und doch bekannte Bilder», heisst es im Editorial der «Parevlas Engiadinaisas» von Jachen Curdin Arquint.
Origens Commedia präsentiert mit Tredeschin ein rundum unterhaltsames Theaterstück und beschert den Zuschauerinnen und Zuschauern einfach nur ein gutes Gefühl. Für eineinhalb Stunden wird das Publikum in eine Märchenwelt voller Magie und Hoffnung eingeladen – in Zeiten wie den unseren eine Wohltat.
Die nächsten Aufführungen von Tredeschin im Engadin sind am 23. Juli in Silvaplana und am 27. Juli in Sils. Details zur Sommertournee von Origens Commedia: www.origen.ch/theater
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