06.01.2025 Larissa Bassin 3 min
Foto: Larissa Bassin

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«Entschuldigung», sagte ich, als ich im Gedränge auf dem Weihnachtsmarkt versehentlich einen etwas kleineren Mann leicht an der Schulter anstosse. «Oh s-chüsa», hörte ich mich sagen, als ich wenig später die Tür des Einkaufszentrums für die Nachfolgende etwas zu kurz aufhielt. Und als ich in der Kaffeeküche wie meine Kollegin nach dem letzten Guatzli auf dem Teller greifen wollte, sagte ich «sorry» und zog meine Hand wieder zurück. So wie ich mich im Laufe des Tages dutzende Male bei anderen Menschen für Dinge entschuldige, die vielleicht gar nicht so schlimm sind, so höre ich auch unzählige Entschuldigungen, die an mich gerichtet sind. Sei es, dass jemand versehentlich durch die Tür gedrängelt hat, man sich gegenseitig im Weg stand oder man etwas später auf eine Nachricht geantwortet hat. Meistens stört mich das gar nicht oder ich nehme das zu entschuldigende Verhalten nicht einmal wahr. Und doch entschuldigen wir uns den ganzen Tag für Dinge, die so unbedeutend sind, dass sie es nicht einmal einer Entschuldigung wert sind. 
 
Und dann frage ich mich, ob wir uns für wirklich wichtige Dinge genauso entschuldigen, wie wir es auch für etwas Unwichtiges tun. Reicht ein einfaches «Sorry», wenn man 10 Minuten zu spät zum vereinbarten Treffpunkt kommt und die andere in der Kälte stehen lassen hat. Wenn man jemanden vor einer Gruppe blossgestellt hat, reicht dann ein kurzes «Tut mir Leid, das wollte ich nicht»? 
 
Meiner Meinung nach entschuldigen wir uns zu wenig für die relevanten Dinge. In einer Situation, in der man jemanden wirklich verletzt oder enttäuscht hat, kommen einem die Worte «S-chüsa» nur schwer über die Lippen. Man drückt sich, ist nett zu der Person, hofft aber auch ein bisschen, dass die Situation schnell vergessen wird und alles wieder beim Alten ist. Man erwartet, dass die Person einem verzeiht, ohne dass man sie um Verzeihung gebeten hat. Man nimmt es als selbstverständlich hin, dass die andere Person nicht allzu lange böse auf einen ist, die Welt sich weiterdreht und man ohne grossen Aufwand wieder aus der Sache herauskommt. Ist es etwa der Stolz, der uns daran hindert, uns ehrlich für unsere Fehler zu entschuldigen? Wollen wir uns nicht eingestehen, dass wir fehlbar sind und uns nicht korrekt verhalten haben? Oder schämen wir uns zu sehr, um es dem Gegenüber zuzugeben? 
 
Was auch immer die Gründe für das Ausbleiben von Entschuldigungen bei wirklichen Fehlern sein mögen, vielleicht sollten wir uns im neuen Jahr bewusst entschuldigen. Etwas weniger für belanglose Kleinigkeiten und etwas mehr für die richtigen Fehltritte im Leben. Ich nehme mir jedenfalls vor, meine «Sorrys» und «S-chüsas» für die tatsächlich wichtigen Dinge im Leben aufzuheben. Also sorry, wenn ich mich mal nicht für den kleinen Schubser im engen Regalgang im Supermarkt entschuldige.

Larissa Bassin

Larissa Bassin ist 25 Jahre alt und in La Punt Chamues-ch aufgewachsen. Die ehemalige Praktikantin der Engadiner Post studiert an der Universität St. Gallen Rechtswissenschaft mit Wirtschaftswissenschaften. Dabei entdeckte sie, dass sie wohl eher ein Stadtkind ist und schätzt das kulturelle Angebot, die Vielfalt der Menschen, die Anonymität, Abendverkäufe, das Nachtleben und kleine Cafés, die tatsächlich immer Hafermilch im Angebot haben. Nichtsdestotrotz zieht es sie gerade im Winter auf die Pisten, wofür sie die ein oder andere Vorlesung sausen lässt, oder sie wandert auf den Piz Mezzaun, wenn sie den Kopf lüften muss.