07.05.2025 Romana Ganzoni 9 min
Foto: KI-generiert

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Im Frühstücksraum schraubten kurz nach zehn Uhr drei voluminöse Frauen in hellblauen Schürzen an der Orangenpresse rum, bis jetzt ohne Erfolg, die Presse streikte, eine vierte Frau, hager, in schwarzem Kleid, stellte um die Beschürzten drei gelbe Warntafeln auf. 
 
Achtung rutschig! 
 
Nach einer halben Stunde Montage und Demontage rollten die drei Frauen die Orangenpresse ins winzige Office – und blieben verschwunden, was den Appetit der Menschen im Saal zu steigern schien, meine Tischnachbarn traten ein Dutzend Mal ans Buffet und kamen mit prall gefüllten Tellern zurück. Full english, Früchte, vier Gläser Jogurt, Brotkörbe, Butter, Salami, Käseplatten und die übrigen Eierspeisen. Die beiden Männer, die gefältelte Kochhauben trugen und vorhin an der Theke standen, waren offensichtlich anderswo beschäftigt, aus dem Topf für die pochierten Eier stieg schwach der letzte Dampf. Die Küche ist geputzt und verlassen, konstatierte die Nervöse am Nebentisch. Fleissig, antwortete ihre ruhige Freundin.
 
Ich verzichtete auf Orangensaft und eine weitere Portion Lachs mit Kapern und Gurkenscheiben. Beim Ausgang des Frühstückraums verabschiedete mich die hagere Frau in schwarz, einen wunderschönen Tag, Madame, sagte sie und entliess mich zur Rück- und Strandseite des Hotels, wo die beiden ovalen Pools lagen, der eine war mit Süsswasser gefüllt und aufgeheizt, der andere mit Salzwasser und ein paar Grad kühler gehalten, etwa auf Meerestemperatur. Beide Pools waren leer, auch der aufblasbare Flamingo, der zum Inventar gehörte, schwamm nirgends, die Aquafit-Gerätschaften waren weg, kein Mensch lag auf den Liegen, obwohl es sonnig war und windstill. Der gelbe Rollladen der Safttheke bei den Palmen war unten geblieben. Daneben hing ein rot-weiss-gestreiftes Warnband um den Whirlpool, zwei Mechaniker hockten auf dem Boden und kümmerten sich um den Motor. 
 
Ich durchschritt die Pool-Zone, um meine tägliche Runde auf der Strand-Promenade zu absolvieren, wo gutgelaunte Menschen in kurzen Hosen Eis schleckten, viele Paare, Hand in Hand. Als ich das Hotelareal nach einer Dreiviertelstunde wieder betrat, stand der Eingang zu Strand und Aussenwelt weit offen, obwohl die Warntafel dazu aufrief, das Tor unbedingt und zu jeder Zeit zu schliessen. Das Warnband beim Whirlpool war abgeräumt. 
 
Da stand ich nun und dachte über mein Leben nach. War es ein gutes Leben? Ja. War es ein sinnvolles Leben? Noch nicht. Ich bückte mich und drückte auf den Knopf, der dem Whirlpool das Blubbern befahl. Nichts. Ich würde es melden.
 
Zuerst verlangten all diese unerwarteten Vorgänge nach einem Espresso, den ich mir auf meinem Zimmer zubereiten würde. Der Aufzug dahin funktionierte bestimmt. Hier gab es Menschen mit Rollstuhl. Ich nahm trotzdem die Treppe, um auf die fünfte Etage zu gelangen, so würde ich meine Schrittzahl vermehren. Ich schaute auf mein Mobile, dessen Bildschirm auch nach diversen Manipulationen schwarz blieb, obwohl ich den Akku heute Morgen vollständig aufgeladen hatte. Zwei Dutzend Leute im weissen Bademantel kreuzten meinen Weg, vielleicht gab es heute Gratis-Massagen bei den Pools? Oder einen Wettbewerb? Eine Schnitzeljagd, von der ich nichts mitbekommen hatte. Oder eine Filmvorführung im Freien. Casablanca?
 
Oben angekommen, suchte ich nach einer Information, vielleicht hatte mich die SPA- oder Animations-Abteilung vergessen, ich würde nachfragen, zuerst der Espresso, ich hob den schwarzen Deckel, der an einem Bügel hing und steckte eine Lungo-Kapsel in die dafür vorgesehene Vertiefung, dann zog ich den Bügel nach unten, gleichzeitig drückte ich den kleineren Knopf. Keine Reaktion. Nochmals. Dito. 
 
Ich schlug mit der Faust auf die Front und auf die Seiten des Automaten, der kurz ratterte und erstarb. Room-Service, dachte ich, Taste 9, das braune Festnetz-Gerät schwieg, nochmals Taste 9, ich sehnte mich nach dem Besetztzeichen, aber die Leitung war tot, da ging die Deckenleuchte aus. Der Ausstieg der Vorrichtungen und Geräte war gestaffelt, also kein Stromausfall oder nur teilweise. 
 
Ich trat auf den breiten Gang vor meinem Zimmer und liess die Tür offen, wer weiss, ob das Schloss noch auf die Schlüsselkarte reagierte? Auf dem Gang kam von oben kein Licht, nun erloschen die diskreten Stehlampen, die für die Atmosphäre zuständig waren, als wären sie müde, die Jazz-Musik tat es ihnen gleich, die Lautsprecher blendeten sie aus. Aus der Lobby hingegen drang das wohlbekannte vorlaute Saxophon, es hatte gestern die Abendunterhaltung bestritten, der Hotelmusiker war ein alter, energetischer Mann, der mit dem Publikum flirtete. 
 
Zwei Paare im Bademantel spazierten an mir vorbei, ich suchte in ihren Gesichtern Zweifel, Verwunderung oder Unglauben, aber ich wurde nicht fündig, sie spazierten zum Lift und riefen ihn, vergeblich, ich schloss auf und sagte in möglichst unbeschwertem Ton, der Aufzug ist wohl solidarisch mit der Kaffeemaschine und dem Licht. Alle vier schauten mich skeptisch an, die eine Frau sagte, yes, yes, die anderen sagten nichts, nickten sich zu, lächelten und gingen zur grossen Treppe, ihr Gespräch ging in ein wohltuendes Geräusch über, das dem Summen der Klimaanlage glich. Ich lauschte. Die Klimaanlage war aus. Natürlich. Oder doch nicht? Ich lauschte. Sie war aus.
 
Ich nahm die Treppe in die Lobby und ging etwas umher, so, als suche ich jemanden. Der Hausmusiker sah mich an und hörte mitten im Satz auf zu spielen, er legte das Saxophon sorgfältig auf den Flügel und verliess das Hotel. Um mich plaudernde und lachende Menschen in Bademänteln mit Gläsern auf den Tischen und in der Hand, über allem grosse Leichtigkeit, ja Festlaune. Sollte ich ein Glas Weisswein trinken? Später.
 
Ich trat an die Rezeption und fragte, ob es Probleme gebe, offenbar sei unter anderem die Elektrizität ausgefallen. 
 
Nicht dass ich wüsste, sagte die Rezeptionistin. 
 
Ja, läuft ihr Rechner denn? 
 
Nein, zur Zeit nicht, das kommt ab und zu vor, zum Glück gibt es keine echten Probleme. Geniessen Sie Ihren Aufenthalt? 
 
Ich zögerte, ja. 
 
Das hören wir gerne, Madame.
 
Der Whirlpool ist kaputt, sagte ich. 
 
Da schicke ich gleich jemanden vorbei, vielen Dank für die Information, Madame.
 
Könnten Sie mir ein Taxi rufen? 
 
Leider nein. Die Telefone können im Moment nicht bedient werden. 
 
Ich komme später nochmals, sagte ich und trat auf die Strasse hinaus, kein einziger Wagen, auch kein Fahrrad. 
 
Ich ging zurück an die Rezeption, wo die Rezeptionistin gerade ihren Platz verliess, ich beschleunigte den Schritt und fragte, verzeihen Sie, fährt noch ein Bus? 
 
Hier fahren nie Busse, Madame, sagte sie über die Schulter und ging zielstrebig ins nahegelegene Büro, das mit Guest Experience angeschrieben war. 
 
Herrlich, diese Ruhe, sagte eine Frau, die neben mir erschien. Ich nickte und dachte, wo mögen die Leute mit den Rollstühlen sein? Zu der Frau, die die Ruhe genoss, sagte ich, es scheint nicht nur die Elektrizität ausgefallen zu sein. 
 
Wie kommen Sie denn darauf?, fragte die Frau amüsiert. 
 
Alles ist kaputt, und das Licht ist ausgegangen. 
 
Ach, so. Damit kann ich umgehen. Vielleicht sind Sie noch etwas zu jung. Machen Sie sich locker! Schönen Tag, sagte sie freundlich und schlenderte in die Lobby, wo ihr Mann winkte. 
 
Ich trat nochmals vor das Hotel, es gab bestimmt eine Bushaltestelle. Aber wo? Ich stand da und schaute zum Himmel. Kein Flugzeug. Was hatte ich erwartet? Der Supermarkt, der in Sichtweite lag, schien geschlossen. Die Katze, die immer im kleinen Steingarten schlief, war noch da. Das beruhigte mich. Die Katze ist da, sagte ich halblaut, die Katze ist da. Du bist da, sagte ich zur Katze. Ich lief ins Hotel, die Rezeption war nun verlassen, die beiden Barkeeper hatten sich den Rezeptionistinnen angeschlossen, die Gäste prosteten sich zu, Kristall und Eis klirrten, sie tranken alle gleichzeitig aus, als hätten sie einen Paukenschlag gehört, den sie zu deuten wussten, dann standen sie zusammen auf und gingen nach oben. Ich bildete den Schluss der Kolonne. 
 
Meine Zimmertüre war geschlossen, das Schloss reagierte nicht auf die Karte, wie ich vermutet hatte. Ich klopfte an die Tür des Nebenzimmers, anschliessend an alle Türen der fünften Etage. Ich rief laut, hallo, und ging über die Treppe nach unten, zum Whirlpool. Da landete ein menschlicher Körper neben mir. Wie ein Sandsack, dachte ich, mit dem Unterschied, dass dieser Körper an den Rändern aufplatzte. Ich wartete. Vielleicht erhob er sich wieder? Er blieb liegen. Der nächste ebenso. Als der dritte Körper auf den Beton klatschte, begann der Whirlpool zu blubbern. Die Rezeptionistin hatte Wort gehalten. 
 
Sollte ich mich hineinsetzen? Ich konnte es tun, ohne negativ aufzufallen, denn ich trug unter den Kleidern einen Bikini. Nun regnete es Körper vom Dach, die Leute waren offensichtlich nicht auf ihre Zimmer gegangen, sondern auf die Dachterrasse mit dem schönen Restaurant. Ich streifte die Schuhe ab, zog Rock und Bluse aus und setzte mich in den Whirlpool, die Wassertemperatur war angenehm, der Strom aus einer Düse kitzelte meine Zehen. 

Ich machte mich locker.

Romana Ganzoni

Romana Ganzoni (*1967, Scuol) ist Autorin und wohnt in Celerina/Schlarigna. Nach 20 Jahren als Gymnasiallehrerin schreibt sie seit 2013 Romane, Erzählungen, Gedichte, Essays, Kolumnen sowie für Radio und Bühne. Sie wurde für den Bachmannpreis nominiert, erhielt den 1. Preis beim Essay-Wettbewerb des Berner Bunds und ist Trägerin des Bündner Literaturpreises.