Kürzlich auf der Zugfahrt von einer Zürcher Agglomerationsgemeinde zum Hauptbahnhof und zu einer Lokalmedientagung. Der Zug ist voll, Pendlerinnen und Pendler auf dem Weg zur Arbeit oder zur Schule. Kaum jemand spricht, die Blicke sind aufs Handy gerichtet, die in rascher Abfolge getätigten Swipe-Bewegungen des Daumens lassen darauf schliessen, dass hier vorwiegend Kurzfutter über Instagram oder TikTok konsumiert wird. Immerhin: Eine Person liest eine gedruckte Zeitung.
Vor über 30 Jahren war ich selber regelmässiger Pendler auf der immer gleichen Strecke. Rasch hatte sich damals ein Pendler-Grüppchen gebildet. Man sass im selben Abteil, sprach über «Gott und die Welt» (offen gestanden vor allem über Sport) oder reichte sich die Bünde der drei Tageszeitungen, die es damals in dieser Region noch gab.
Dass sich das Medienverhalten in den vergangenen zwei Jahrzehnten drastisch verändert hat, ist nichts Neues. Gemäss dem Jahrbuch der Medien des Forschungszentrums für Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich hat sich seit 2012 die Social-Media-Nutzungszeit mehr als verdoppelt – auf zweieinhalb Stunden täglich. Für ein Drittel der unter 25-Jährigen in der Schweiz sind soziale Medien die primäre Newsquelle. Der Anteil der sogenannten News-Deprivierten wächst und lag in der Schweiz 2024 bei 46 Prozent, in der Altersgruppe der 16- bis 29-Jährigen ist er noch deutlich höher. News-Deprivierte sind Personen, die Nachrichtenmedien unterdurchschnittlich nutzen und, wenn überhaupt, vorwiegend über kostenlose Social-Media- und Online-Angebote konsumieren.
Wenig überraschend stand an der Lokalmedientagung das veränderte Medienverhalten – vor allem aber die Frage, wie die klassischen Medien ihr Publikum finden – im Zentrum der Referate. Anhand verschiedener Beispiele wurde aufgezeigt, wie sich Verlage mit dem Thema auseinandersetzen. Einen unkonventionellen Weg geht beispielsweise die liechtensteinische Tageszeitung «Vaterland». Sie lässt gewisse Artikel aus der Zeitung mittels KI auf eine jugendgerechte Sprache übersetzen und veröffentlicht diese auf der Webplattform «Brudiland».
Die vorangehenden drei Sätze dieses Artikels könnten dann von der KI wie folgt in die Jugendsprache übersetzt werden: «Anhand von verschiedenen Samples wurde gezeigt, wie Verlage versuchen, das Thema zu rocken. Einen ziemlich freshen Move macht zum Beispiel die liechtensteinische Tageszeitung ‹Vaterland›. Die lassen gewisse Artikel per KI in eine jugendliche Sprache übersetzen und hauen die dann auf ihre Webplattform ‹Brudiland›.»
Ein nettes Experiment. Aber gelingt es auch, jungen Leserinnen und Lesern in Zukunft dazu zu bewegen, für journalistische Inhalte zu bezahlen? Das Problem der Monetarisierung ist auch bei «Brudiland» noch nicht gelöst. Fortsetzung folgt.
Solche Beispiele zeigen zumindest, dass sich die Branche der Herausforderungen durchaus bewusst ist und neue, unkonventionelle Wege sucht. Mut machte an diesem Tag das Referat von Ellers Meinolf von der Deutschen Presseagentur (dpa). Jüngste Studien würden nämlich eine Renaissance des Lokalen prophezeien. Weil der digitale Raum und Social Media von den Jungen zunehmend als toxisch wahrgenommen werden, die Jungen Vereinsamung beklagen und wieder das Authentische suchen. «Es zeigt sich ein tiefes Bedürfnis nach Vertrauensräumen, also Freunde, Familie, Nachbarn, und das Lokale ist per se ein solcher Vertrauensraum.»
Aufgabe der Medien ist es, die Jugendlichen in diesem Bedürfnis zu bestärken, sie abzuholen, sie zu begleiten.
UseTheNews – eine von Keystone-SDA, der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) und dem Verlegerverband Schweizer Medien gegründete Dachorganisation – zielt mit ihrem Projekt in diese Richtung, indem sie zum Beispiel gezielt die Nachrichtenkompetenz fördert. Sie hilft Jugendlichen und anderen Bevölkerungsgruppen dabei, Nachrichten kritisch zu beurteilen, Quellen zu überprüfen, Medien besser zu verstehen und Informationen richtig einzuordnen, um sich letztlich eine eigene Meinung bilden zu können. Die «Engadiner Post/Posta Ladina» hat in ihrer Ausgabe vom 10. Juni ausführlich berichtet. Schulen, die Interesse haben, an diesem oder anderen Projekten mitzumachen, können sich gerne bei der Redaktion melden.
Ellers Meinolf sprach in seinem Referat auch davon, dass es den Lokalmedien gelingen müsse, mittels aktiver Moderation Gemeinschaft zu stärken und «Lagerfeuermomente» zu schaffen.
Dieser Satz erinnert mich noch einmal an meine Pendlerzeit. Heute würde man sagen: Wir waren damals eine Community, und ja, wir hatten während dieser 30 Minuten Pendlerfahrt so einige gemeinsame Lagerfeuermomente mit interessanten Diskussionen, die ab und zu nach der Zugfahrt und vor dem Gang ins Büro sogar mit einem gemeinsamen Kaffee verlängert wurden.
Reto Stifel
r.stifel@engadinerpost.ch
Reto Stifel ist seit 2009 Chefredaktor der Engadiner Post.
Reto Stifel ist seit 2009 Chefredaktor der Engadiner Post.
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