08.08.2025 Bibi Vaplan 2 min
Foto: Bibi Vaplan

Foto: Bibi Vaplan

Mein Zahnarzt untersucht den Zustand meiner Zähne. Ich öffne den Mund so weit ich kann. Auf diesem Stuhl, der sich vor- und zurück-, sowie hoch- und runterfahren lässt, fühle ich mich immer klein und verloren. Nachdem er auch das Röntgenbild eingehend betrachtet und dabei mehrmals die Stirn gerunzelt hat, teilt er mir schliesslich mit, dass ich eine Zahnfleisch-Operation brauche. Ich erkläre ihm, dass ich im Moment keine 3’000 Franken für die Behandlung aufbringen kann. Aber, dass bei erfolgreicher OP meine Familie und Bekannten davon erfahren würden und ich sogar einen Instagram-Post darüber machen könnte. Das wäre doch für ihn gute Werbung? 900 Franken könnte ich schon zahlen, aber mehr nicht.
 
Daraufhin wirft mich der Zahnarzt aus der Praxis. Enttäuscht gehe ich in die Bäckerei, um mich mit etwas Süssem zu trösten. Die Verkäuferin packt die Crèmeschnitte ein und sagt: «3 Franken 50, bitte». Auch ihr versuche ich zu erklären, dass ich momentan kein Geld habe, weil ich dringend eine teure Zahnoperation brauche. Sie könnte mir die Crèmeschnitte auch schenken – das wäre doch gute Werbung für sie, wenn Passanten sehen, dass ich mit einer Schachtel ihrer Bäckerei unterwegs bin? 
 
Nein, ich bin nicht verrückt geworden. Und ja, diese Situationen sind surreal. Niemals würde ich diese Diskussionen führen. Doch für Musiker:innen sind solche Erfahrungen Alltag: Unsere Musik wird ohne angemessene Bezahlung verkauft und genutzt. Konzerte sollen wir spielen, weil es gute Werbung für uns sei, für einen guten Zweck oder weil Veranstalter:innen zu wenig Budget haben. Selten werden Richtgagen eingehalten, geschweige denn Spesen erstattet. Und wohin das Geld von Spotify fliesst, wissen wir inzwischen: in die Waffenindustrie oder in den Fussball zum Beispiel – aber nicht zu uns. Ich fühle mich ohnmächtig. Wütend.
 
Dass es so weit kommen konnte, überrascht mich nicht. Schon vor einigen Jahren versuchte ich, eine Gruppe von Musiker:innen zu gründen, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Doch niemand zeigte Interesse. «Ist halt so», hiess es. Und auch jetzt, angesichts der neuesten Erkenntnisse über die Verwendung der Spotify-Einnahmen, habe ich auf Instagram einen Post veröffentlicht und viele Kolleg:innen markiert. Gab es einen Repost? Nicht einen einzigen.
 
Ist es so, dass nur Mainstream-Acts wie Taylor Swift und Co. das Recht haben zu überleben? Oder lohnt es sich, für eine vielfältige Musiklandschaft zu kämpfen? 

Bibi Vaplan

Bibi Vaplan (geboren 1979) ist im Engadin aufgewachsen. Das Klavierstudium an der Zürcher Hochschule der Künste schloss sie 2005 mit dem Lehrdiplom ab. Schon während des Studiums komponierte sie für Filme und Theater (u.a. für Vitus). Stilistische Grenzen waren schon immer ein willkommener Grund, über den Zaun zu schauen. Bibi Vaplans Konzerte und ihre mediale Präsenz, zum Beispiel im «Kulturplatz», bei «Glanz und Gloria» oder auf dem Traktor unterwegs für «Jeder Rappen zählt!» machten die Engadiner Künstlerin schweizweit bekannt. Ihr neuestes Projekt, die «Popcorn-Opera» startete am 6. November 2020.