07.09.2025 Reto Stifel 1 min
Foto: Reto Stifel

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Ich kann gut loslassen. Finde ich. Okay, die Briefmarkensammlung sollte ich schon lange weggeben, die 30 Jahre alten Reiseführer werden ganz sicher nie mehr zum Einsatz kommen, und – in der Zwischenzeit wieder zur Kleinfamilie geschrumpft – brauchen wir auch keine vier Zelte mehr. Das denkt auch meine Göttergattin, die im Loslassen nicht so gut ist wie ich.
Darum ist der Zeltverkauf mein Sommerprojekt. Drei Monate steht das Ding auf einer Online-Verkaufsplattform, ohne dass sich jemand dafür interessiert hätte. Dabei: gutes Zelt, guter Zustand, fairer Preis. Endlich, vor zwei Wochen, ein Käufer. Der Deal ist perfekt. Einpacken, zukleben, Etikette drauf – und da steht das Paket versandbereit. Nur noch auf die Post bringen, easy, oder?
Nur: Plötzlich kommen die Erinnerungen. An die vielen Nächte in diesem Zelt. An eine Reise nach Hawaii und in den US-Bundesstaat Washington. Da war dieses Zelt für fast acht Wochen unser kleines Zuhause. Wie haben es die Kinder genossen, auf einem abgelegenen State Park Campground Gespenstergeschichten erzählt zu bekommen und sich dabei tief in den Schlafsack zu kuscheln.
Bevor die Emotionen überhand nehmen, bringe ich das Zelt auf die Post. Der Gegenstand zieht weiter. Das wirklich wertvolle, die Erinnerungen nämlich, bleiben. Ein tröstender Gedanke. 

Autor und Foto: Reto Stifel

Reto Stifel

r.stifel@engadinerpost.ch
Reto Stifel ist seit 2009 Chefredaktor der Engadiner Post.

PS werden von den Redaktorinnen und Redaktoren der Engadiner Post / Posta Ladina geschrieben und erscheinen wöchentlich in der Samstagsausgabe der EP/PL.