17.09.2025 Larissa Bassin 2 min
Foto: unsplash, melissamullinator

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Die Schiebetür des Brockenhauses gleitet auf – und sofort umgibt mich der Duft von altem Leder, einer Prise Staub und vergilbten Bücherseiten. Dazu mischt sich diese unverkennbare Abenteuerlust, die Vorfreude darauf, vielleicht den nächsten grossen Schatz zwischen all den gebrauchten Dingen zu entdecken. Ich atme tief ein und stürze mich ins Getümmel aus wackeligen Stühlen, liebevoll restaurierten Regalen, bereits aufgebauten Schränken und altertümlichen Kronleuchtern, die den Raum in geheimnisvolles Licht tauchen.
 
Meine Füsse sinken in einen flauschig braunen Teppich, als ich einen neuen Raum des vierstöckigen Brockenhauses betrete. Meine Hand streicht über die Tischplatte eines grossen runden Tisches. Ich spüre kleine Rillen und feine Gravuren, Unebenheiten, die wohl vom ständigen Abstellen von Tellern und Tassen oder vom täglichen Wischen mit einem feuchten Lappen herrühren. Sofort beginnt meine Fantasie zu wandern: Ich sehe diesen Tisch in einem grosszügigen Esszimmer, umgeben von raumhohen Fenstern mit leichten, weissen Vorhängen. Die Morgensonne fällt durch die Stoffbahnen, lässt das weisse Geschirr auf der gedeckten Tafel glänzen. Neben der dampfenden Kaffeekanne steht eine Früchteschale, und aus einem Korb in der Mitte steigt der Duft frisch gebackener Brötchen. Eine hellbraune Katze streicht um die geschwungenen Tischbeine, in der Hoffnung, dass ein Stück Schinken unachtsam zu Boden fällt. Wer an den sechs gepolsterten Holzstühlen Platz nimmt, bleibt meiner Vorstellung jedoch verborgen.
 
Zurück im Brockenhaus zieht ein imposantes Bücherregal meine Aufmerksamkeit auf sich. Zwischen dicken Wälzern, schmalen Heftchen, Kochbüchern, Familienratgebern und Gedichtbänden entdecke ich in einem Werk zur Schweizer Geschichte eine handgeschriebene Widmung – offenbar einst ein Geburtstagsgeschenk. Ich greife zu einem Kochbuch mit toskanischen Rezepten und blättere neugierig darin. Am Rand haben die Vorbesitzer Notizen hinterlassen: kleine Anekdoten, Tipps und Ergänzungen. Das Rezept für selbstgemachte Linguine lässt mir sofort das Wasser im Mund zusammenlaufen. Kurzerhand klemme ich mir das Buch unter den Arm, um es mit nach Hause zu nehmen. Dort werden die Seitenränder hoffentlich bald mit meinen eigenen Anmerkungen gefüllt – und so die Geschichte dieses Buches weiterschreiben.

Larissa Bassin

Larissa Bassin ist 26 Jahre alt und in La Punt Chamues-ch aufgewachsen. Die ehemalige Praktikantin der Engadiner Post wohnt und arbeitet in Zürich. Dabei entdeckte sie, dass sie wohl eher ein Stadtkind ist und schätzt das kulturelle Angebot, die Vielfalt der Menschen, die Anonymität, Abendverkäufe, das Nachtleben und kleine Cafés, die tatsächlich immer Hafermilch im Angebot haben. Nichtsdestotrotz zieht es sie gerade im Winter auf die Pisten, wofür sie die ein oder andere Vorlesung sausen lässt, oder sie wandert auf den Piz Mezzaun, wenn sie den Kopf lüften muss.