Am frühen Morgen, wenn die meisten Menschen noch tief schlafen, beginnt die Bündner Hochjagd – und ich mittendrin. Oder besser gesagt: nur dabei. Denn erstens gehe ich nicht selbst auf die Jagd und zweitens bin ich eindeutig ein Jagd-Rookie. Um Punkt 4 Uhr klingelte der Wecker gnadenlos. Raus aus den Federn, rein in die olivgrünen Kleidern und ab ins Badezimmer. Drei Spritzer Parfüm gehören zu meiner Morgenroutine. Zum Glück bemerkte ich gerade noch rechtzeitig mit dem Flacon in der Hand, dass uns dieser Duft auf der Jagd wohl eher zum Verhängnis werden könnte. Auch ohne Parfüm, dafür mit selbstgemachten Sandwiches, war ich bestens für den Tag gewappnet.
Rucksack im Auto, los zum vereinbarten Treffpunkt. Mit einem Kaltstart ging es den Berg hoch – und das ziemlich zügig. Glücklicherweise konnte ich noch etwas von meiner alten Athleten-Ausdauer profitieren. Ab einem bestimmten Punkt wurde ich zum Schweigen aufgefordert – versteht sich von selbst. Als Gast wollte ich mir nicht die Schuld geben müssen, fällt der Plan meinetwegen ins Wasser.
Oben angekommen, suchten wir uns stille Plätze, blendeten die morgendliche Müdigkeit aus und hielten Ausschau. Gämse gab es zuhauf – die Champions League der Alpen sozusagen – aber kein passendes Tier. Die Bündner Hochjagd ist eine Wissenschaft für sich. Welche Tiere wann und in welcher Reihenfolge – all das konnte ich mir nur bruchstückhaft merken. Also hieß es abwarten – eine echte Geduldsprobe. Ein guter Zeitpunkt, um eines meiner liebevoll zubereiteten Sandwiches zu essen? Fehlanzeige. Schmatz-Geräusche und Alufolienknistern hätten die Lage kaum verbessert. Ausserdem ließ sich mit den dicken Fausthandschuhen ohnehin schlecht essen. Haut zeigt man hier besser nicht – die Tiere scheinen dafür einen sechsten Sinn zu haben.
Doch auch ohne Sandwich und Geplauder fühlte ich mich wie bei einem Yoga-Retreat in freier Natur. Still, friedlich, umgeben von atemberaubender Berglandschaft. Das natürliche Feuerrot des Herbstes unter tiefblauem Himmel – Der Herbst präsentierte sich von seiner besten Seite.
Als sich am Nachmittag Aufbruchsstimmung breit machte, wurde mir klar: Auch ohne Beute ist so ein Jagdtag zweifellos ein gewonnener Tag.


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