Ich habe im letzten Blog versprochen, dass ich Ihnen erzähle, warum ich meine Bücher in Kisten verpackt habe: Für ein halbes Jahr weile ich in La Neuveville am Bielersee. Ab Februar verbringe ich dann ein halbes Jahr im Rahmen eines Atelierstipendiums in Kairo. Daher habe ich mich entschlossen, frühzeitig Ballast abzuwerfen, meine Möbel in einem Depot zu verstauen und in eine Collocation zu ziehen. Das WG-Leben eröffnet mir neue welsche Perspektiven – meine Mitbewohner und Mitbewohnerinnen sprechen alle Französisch und sind so nett, mich zu vergemeinschaften, was mich als introvertierten Menschen ziemlich herausfordert.
Ich übe mich wieder im Tanzen und musste auch meine Abneigung gegenüber dem Gamen überwinden. Meine Gspändli würden für ihre Bemühungen einstimmig den Integrationspreis der Stadt La Neuveville gewinnen, gäbe es diesen. Quasi als Entschädigung für die Beziehungsarbeit in der Gruppe geniesse ich die Gesellschaft von zwei Katzen. Die kurzhaarige, melancholische Geisha hat mich bereits adoptiert und verfolgt mich auf Schritt und Tritt. Sobald ihre langhaarige graziöse Schwester das Zimmer betritt, richtet sich Geisha auf und gibt ihrer Schwester mit geschwellter Brust zu verstehen: «Hau ab. Die gehört jetzt mir.» Ich versuche jeweils zu vermitteln, was schier ein Akt der Unmöglichkeit ist. Sobald ich mich Mia zuwende, wendet sich Geisha tief gekränkt ab. Emotionale Erpressung nennt man das.
So hat alles seine Sonnen- und Schattenseiten, auch die reinste Katzenfreundschaft, womit wir beim heutigen Thema wären: «Nichts geniessen wir in seiner Reinheit», wie Michel de Montaigne bemerkte. «Die tiefste Freude hat mehr Ernst als Heiterkeit, das äusserste, das vollkommene Glück mehr Stille als Ausgelassenheit.» Michel de Montaignes Essay-Sammlung hat übrigens beim Umzug etwas gelitten. Das dicke Buch habe ich zusammen mit Weichspüler in eine Tasche gepackt, da ich beide Dinge griffbereit haben wollte, und Sie ahnen das Malheur: Das Buch hat Weichspüler abbekommen, was Montaignes These im doppelten Sinne verstärkt: Das reinste Buch kann Schaden nehmen – sogar durch Weichspüler, der ja alles fasertief reinwäscht. Im übertragenen Sinne schadet auch das reinste Buch, möglicherweise durch eine weichgespülte Interpretation einer Leserin, die das Buch fast 500 Jahre nach Erscheinen aufschlägt.
Ein Bekannter behauptete ja kürzlich, Sie, liebe Leserinnen und Leser, würden meinen Blog nicht verstehen. Dabei schrieb Montaigne ja sehr verständlich, frank und frei von der Leber weg, für alle verständlich, schliesslich schrieb er auf Französisch und nicht auf Latein, der Sprache der Gelehrten. Ich würde also ziemlich am Ziel vorbeischiessen, wenn Sie meinen Gedanken nicht folgen könnten. Sie sehen, auch die schönsten Tätigkeiten wie das Schreiben eines Blogs können plötzlich bitter werden. Montaigne erwähnt in seinem Essay Sokrates, der gesagt haben soll, dass irgendein Gott versucht habe, Lust und Schmerz zu einem einheitlichen Ganzen zu verschmelzen, dann aber, als ihm dies misslungen sei, sie wenigstens mit den Schwänzen aneinandergeknotet habe. Selbst ein Mensch, der für immer von einem «Sinnesrausch gleich dem des Gipfels eines Zeugungsaktes ergriffen wäre, würde unter der Last seines Glücks zusammenbrechen».
Es reicht schon, sich vorzustellen, der Angebetete würde einem jeden Tag 100 rote Rosen schenken. Erstens hat niemand so viele Vasen und zweitens würde man sich irgendwann an den Dornen verletzen, wenn keine freie Fläche mehr übrigbliebe.
Das dürfte auch der Grund sein, warum ich jetzt so lange nicht mehr im Engadin war. Ich fürchte die Melancholie, die sich in den Glücksrausch des goldgelb leuchtenden Lärchenherbstes mischt. Und noch mehr fürchte ich den Gegenbeweis, dass es doch etwas gibt, das wir in seiner Reinheit geniessen können: das Engadin.
Ich übe mich wieder im Tanzen und musste auch meine Abneigung gegenüber dem Gamen überwinden. Meine Gspändli würden für ihre Bemühungen einstimmig den Integrationspreis der Stadt La Neuveville gewinnen, gäbe es diesen. Quasi als Entschädigung für die Beziehungsarbeit in der Gruppe geniesse ich die Gesellschaft von zwei Katzen. Die kurzhaarige, melancholische Geisha hat mich bereits adoptiert und verfolgt mich auf Schritt und Tritt. Sobald ihre langhaarige graziöse Schwester das Zimmer betritt, richtet sich Geisha auf und gibt ihrer Schwester mit geschwellter Brust zu verstehen: «Hau ab. Die gehört jetzt mir.» Ich versuche jeweils zu vermitteln, was schier ein Akt der Unmöglichkeit ist. Sobald ich mich Mia zuwende, wendet sich Geisha tief gekränkt ab. Emotionale Erpressung nennt man das.
So hat alles seine Sonnen- und Schattenseiten, auch die reinste Katzenfreundschaft, womit wir beim heutigen Thema wären: «Nichts geniessen wir in seiner Reinheit», wie Michel de Montaigne bemerkte. «Die tiefste Freude hat mehr Ernst als Heiterkeit, das äusserste, das vollkommene Glück mehr Stille als Ausgelassenheit.» Michel de Montaignes Essay-Sammlung hat übrigens beim Umzug etwas gelitten. Das dicke Buch habe ich zusammen mit Weichspüler in eine Tasche gepackt, da ich beide Dinge griffbereit haben wollte, und Sie ahnen das Malheur: Das Buch hat Weichspüler abbekommen, was Montaignes These im doppelten Sinne verstärkt: Das reinste Buch kann Schaden nehmen – sogar durch Weichspüler, der ja alles fasertief reinwäscht. Im übertragenen Sinne schadet auch das reinste Buch, möglicherweise durch eine weichgespülte Interpretation einer Leserin, die das Buch fast 500 Jahre nach Erscheinen aufschlägt.
Ein Bekannter behauptete ja kürzlich, Sie, liebe Leserinnen und Leser, würden meinen Blog nicht verstehen. Dabei schrieb Montaigne ja sehr verständlich, frank und frei von der Leber weg, für alle verständlich, schliesslich schrieb er auf Französisch und nicht auf Latein, der Sprache der Gelehrten. Ich würde also ziemlich am Ziel vorbeischiessen, wenn Sie meinen Gedanken nicht folgen könnten. Sie sehen, auch die schönsten Tätigkeiten wie das Schreiben eines Blogs können plötzlich bitter werden. Montaigne erwähnt in seinem Essay Sokrates, der gesagt haben soll, dass irgendein Gott versucht habe, Lust und Schmerz zu einem einheitlichen Ganzen zu verschmelzen, dann aber, als ihm dies misslungen sei, sie wenigstens mit den Schwänzen aneinandergeknotet habe. Selbst ein Mensch, der für immer von einem «Sinnesrausch gleich dem des Gipfels eines Zeugungsaktes ergriffen wäre, würde unter der Last seines Glücks zusammenbrechen».
Es reicht schon, sich vorzustellen, der Angebetete würde einem jeden Tag 100 rote Rosen schenken. Erstens hat niemand so viele Vasen und zweitens würde man sich irgendwann an den Dornen verletzen, wenn keine freie Fläche mehr übrigbliebe.
Das dürfte auch der Grund sein, warum ich jetzt so lange nicht mehr im Engadin war. Ich fürchte die Melancholie, die sich in den Glücksrausch des goldgelb leuchtenden Lärchenherbstes mischt. Und noch mehr fürchte ich den Gegenbeweis, dass es doch etwas gibt, das wir in seiner Reinheit geniessen können: das Engadin.
Bettina Gugger
Bettina Gugger verbrachte die letzten Jahre im Engadin, zuletzt war sie Redaktorin bei der «Engadiner Post/Posta Ladina». Nun hat es sie wieder ins Unterland verschlagen. Sie ist redaktionelle Leiter vom Newsletter «cültür», der einmal wöchentlich das kulturjournalistische Geschehen über die Sprachgrenzen hinaus kommentiert. Zudem arbeitet sie als freie Kulturjournalistin für diverse andere Medien.
2018 erschien ihr Erzählband «Ministerium der Liebe». 2020 folgte «Magnetfeld der Tauben». Im Rahmen eines Stipendienaufenthaltes in Klosters entstand der Kalender «Kunst BERGen», der 24 literarische Texte über Kunst versammelt. Auf bettinagugger.ch veröffentlich sie regelmässig kurze lyrische Prosatexte und vieles mehr.

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