Mein Wunsch: ein eingefleischter Geduldszahn, den ich gerne gegen den einen Weisheitszahn, der in meinem Mund verblieben ist, eintauschte. Geduld könnte ich nämlich besser brauchen als die in Aussicht gestellte Weisheit. Mit einem Geduldszahn baumelte meine Geduld nicht dauernd am schwächsten Faden, sie wäre eine körperliche Möglichkeit.
Vor Jahren zog mir Dottore D. den rechten Weisheitszahn oben, keine Ahnung, was dieser Evolutionsverlierer mit seinem Kompagnon angerichtet hätte. Vielleicht wären die beiden näher zusammengerückt, die anderen Zähne bedrängend, was meine spitzen Eckzähne nach vorne gebracht hätte. Eine ästhetische Katastrophe in einer Welt voller Zahnspangenträgerinnen. Egal. Hätte ich einen zweiten Weisheitszahn, wünschte ich mir nebst dem Geduldszahn einen für das sanfte Gemüt, das mich vor lächerlichen Wutanfällen schützte.
Zum Beispiel, wenn ich die Fäuste balle und ansetze, gegen die Lifttüre zu treten, weil der Lift vom zwölften ins erste Stockwerk mehr als eine Minute braucht. Oder wenn ich den Selecta-Automaten beschimpfe, der meine Cola nicht nullkommaplötzlich rollen lässt. Oder wenn ich, vor dem offenen Kühlschrank stehend, zornig vibriere und mich, wie auf dem Schulhof vor dem Ballwerfen, in Position bringe, um einen Beutel Reibkäse durch die offene Balkontüre zu schleudern, weil ich vergessen habe, Greek Yogurt zu kaufen, jetzt aber sofort Greek Yogurt auf meinem Porridge, der gerade auf der Herdplatte verbrennt, sehen will, vor lauter schnaufen, Lippen zusammenpressen und böse schauen aber nicht mehr funktionstüchtig bin, jetzt raucht es aus der Pfanne, während die Ungeduld in weitere sinnfreie Vorhaben und künftiges Anekdotenmaterial übergeht.
Mir zugewandte, bei solchen Szenen regelmässig Anwesende betrachten die Vorgänge mild. Gerade so muss ich auf meine Kinder geblickt haben, als sie vor der Coop-Kasse hin- und herrollten und drohten, den Boden abzuschlecken oder «der Frau da» in die Schuhe zu beissen, falls es nicht subito Lolipops hagle. Die Zugewandten bitten mich, bewusst zu atmen und konzentriert auf zwanzig zu zählen, alternativ auf eine Spaghettipackung oder die Schuhspitzen zu fokussieren, gedanklich von Lift, Selecta-Automat oder Kühlschrank Abstand zu nehmen und mich von der Lust, übermässig motorisch zu werden, zu lösen.
Wenn mein Blick sich klärt, reden die Menschen mit den vielen Gedulds- und Liebeszähnen ganz normal weiter, als wäre nichts gewesen, etwas später machen sie eine beschwichtigende Geste, streuen eine verständnisvolle Bemerkung und einen kleinen Witz ins Gespräch, so dass ich jetzt, wenn ich es mir überlege, zum Schluss kommen könnte, ein Geduldszahn sei gar nicht so überaus wünschenswert, wie ich zu Beginn behauptet habe.

Diskutieren Sie mit
Login, um Kommentar zu schreiben