Ein Gutes hat es doch, dass mein dickes Montaigne-Buch Weichspüler abbekommen hat. Beim Blättern steigt mir dieser blumig-frische Duft in die Nase, der mich fortan an La Neuveville erinnern wird. Mit diesem Waschmittel habe ich etwa zehn Mal mein Duvet gewaschen, weil die liebe Geisha unter Verlustangst leidet, und mir, wenn ich mal eine Nacht nicht zu Hause war, beim Nachhausekommen jeweils mit einer sehr deutlichen Geste zu verstehen gab, dass ich bitteschön nicht auswärts zu übernachten habe. Katzenfreunde ahnen, wovon ich spreche. Ein Duvet vermittelt den Samtpfoten Sicherheit und durch Pinkeln äussern sie Stress und Ängste. Ich fühlte mich ziemlich unter Druck gesetzt – der Katze den Zutritt zu ihrem Revier zu verweigern, schien mir als Katzenstiefmutter keine Option. Das Duvet muss ich ausserdem nun entsorgen, da auch das Waschen bei hoher Temperatur den Duftstoffen, die nur die Katzennase riecht, nichts anhaben und die Katze zu erneuter Missetat anstiften kann.
Was habe ich denn nun mit dem verängstigten Katzenmädchen gemacht? Mit neun Jahren ist Geisha eigentlich längst erwachsen, aber durch ihr puppenhaftes Gesicht, das sie von ihrer Mutter, einer Perserkatze, geerbt hat, wirkt sie sehr kindlich, umso mehr, als sie zu meiner Erheiterung zum Schlafen in Schubladen steigt oder im Lavabo Platz nimmt, um mir beim Zähneputzen zuzuschauen.
Ich habe bei einer Tierkommunikatorin Rat gesucht. Die Gespräche im Detail zu erläutern, würde jetzt an dieser Stelle zu weit führen, nur so viel: So grundverschieden von der menschlichen Psyche ist die Katzenpsyche nicht. Tierhalter wissen längst, dass ihre Vierbeiner oftmals viel sensibler sind als die zweibeinigen Zeitgenossen. Geisha bekam eine Bachblütenkur verschrieben und ich übernachtete seither nicht mehr auswärts.
Die Macht der Projektion
Was hat das jetzt mit Michel de Montaigne zu tun? Für diese letzte Montaigne-Folge habe ich den Essay mit dem Titel «Wie die Seele ihre Leidenschaften an falschen Gegenständen auslässt, wenn die richtigen ihr fehlen», gewählt. Montaigne meint, «dass eine bewegte und aufgewühlte Seele sich in sich selber verliert, wenn man ihr nichts zum Anpacken gibt». Dabei spricht er den psychischen Abwehrmechanismus der «Projektion» an, der durch Sigmund Freud Einzug ins psychoanalytische Vokabular gefunden hat. Dabei werden unbewusst Gefühle, Wünsche und Eigenschaften auf andere Menschen oder Sachverhalte übertragen, um die Auseinandersetzung mit den eigenen psychischen Inhalten zu umgehen. Als Beispiel fügt Montaigne eine Argumentation des griechischen Schriftstellers Plutarch (45 bis 125) an, der jene kritisiert, die «in Äffchen und kleine Hunde vernarrt sind». Der angeborene Liebestrieb, falls er kein rechtes Betätigungsfeld finde, hecke kindische Ersatzbefriedigungen aus, um nicht müssig zu bleiben. Auf Deutsch gesagt: Meine Katzenliebe ist eigentlich nur Ausdruck eines Mangels an menschlichen Beziehungen. Mit diesem Vorwurf kann ich gut leben. Weitaus erstaunlicher aber scheint mir, dass es offenbar bereits bei den alten Griechen Menschen gab, die eine besondere Freundschaft zu Tieren pflegten, welche von neidzerfressenen Mitmenschen kritisiert wurde. Sie merken, wie ich mit der Formulierung «neidzerfressene Mitmenschen» Opfer meiner Projektionen werde. Es macht mich nämlich wütend, wenn Tiere nicht als fühlende Wesen wahrgenommen werden. Im psychoanalytischen Sinne müsste ich meine Wut jetzt sublimieren, sie auf eine höhere Ebene heben, damit sich meine Seele, um mit Montaignes Worten zu sprechen, nicht «in sich selbst verliert.» Ich könnte mich auch fragen, ob ich mich vielleicht selbst mit meinen Gefühlen nicht gesehen fühle, wenn ich mich so sehr mit den Bedürfnissen der Tiere identifiziere. Indem ich diesen Blog schreibe, ergründe und sublimiere ich meine Wut, die ich übrigens im Alltag höchst selten rauslasse.
Wann waren Sie denn zuletzt wütend? Auf wen oder was? Und steckt hinter Ihrer Wut vielleicht etwas anderes? War sie nur eine Projektion?
Wir projizieren in unserem Alltag ständig Verdrängtes aufs Gegenüber, auf bestimmte Gesellschaftsgruppen, auf die Politik, um – mit dem Schweizer Psychoanalytiker C. G. Jung zu sprechen – unsere eigenen Schatten nicht ansehen zu müssen. In der Psychoanalyse ist die Lebenssituation, die wir uns durch Gedanken und Handlungen manifestiert haben, selbst Ausdruck unseres Unbewussten. Geishas Therapie sorgte in der Wohngemeinschaft für Diskussionen. Es ging um Verantwortlichkeiten versus persönliche Freiheit, um Verlustängste, Vorwürfe und vieles mehr. Der Konflikt ist noch nicht ausgestanden. Was passiert mit Geisha, wenn ich in Kairo bin? Was danach? Katzenversteher:innen fragen: «Warum nimmst du sie nicht einfach mit ins Land ihrer Vorfahren?»
In Ägypten begannen die Menschen bereits 2000 v. Chr. damit, Katzen bei der Mäuse- und Schlangenjagd in den Getreidespeichern einzusetzen. Die eifrigen Helfer wurden mit der Göttin Bastet in Verbindung gebracht, der Schutzgöttin für Heim, Familie und Fruchtbarkeit. Katzen wurden zum Symbol für Schutz und göttliche Gunst. Die ganze Familie trauerte, wenn ein Tier starb. Verstorbene Katzen wurden sogar einbalsamiert und mit Schmuck beigesetzt. Von dem besonderen Verhältnis der alten Ägypter mit ihren Katzen zeugen Funde in Nekropolen wie Bubastis, wo Archäologen auf 10 000 mumifizierte Katzen stiessen.
Ich werde Ihnen aus dem Land der Katzen berichten.
Was habe ich denn nun mit dem verängstigten Katzenmädchen gemacht? Mit neun Jahren ist Geisha eigentlich längst erwachsen, aber durch ihr puppenhaftes Gesicht, das sie von ihrer Mutter, einer Perserkatze, geerbt hat, wirkt sie sehr kindlich, umso mehr, als sie zu meiner Erheiterung zum Schlafen in Schubladen steigt oder im Lavabo Platz nimmt, um mir beim Zähneputzen zuzuschauen.
Ich habe bei einer Tierkommunikatorin Rat gesucht. Die Gespräche im Detail zu erläutern, würde jetzt an dieser Stelle zu weit führen, nur so viel: So grundverschieden von der menschlichen Psyche ist die Katzenpsyche nicht. Tierhalter wissen längst, dass ihre Vierbeiner oftmals viel sensibler sind als die zweibeinigen Zeitgenossen. Geisha bekam eine Bachblütenkur verschrieben und ich übernachtete seither nicht mehr auswärts.
Die Macht der Projektion
Was hat das jetzt mit Michel de Montaigne zu tun? Für diese letzte Montaigne-Folge habe ich den Essay mit dem Titel «Wie die Seele ihre Leidenschaften an falschen Gegenständen auslässt, wenn die richtigen ihr fehlen», gewählt. Montaigne meint, «dass eine bewegte und aufgewühlte Seele sich in sich selber verliert, wenn man ihr nichts zum Anpacken gibt». Dabei spricht er den psychischen Abwehrmechanismus der «Projektion» an, der durch Sigmund Freud Einzug ins psychoanalytische Vokabular gefunden hat. Dabei werden unbewusst Gefühle, Wünsche und Eigenschaften auf andere Menschen oder Sachverhalte übertragen, um die Auseinandersetzung mit den eigenen psychischen Inhalten zu umgehen. Als Beispiel fügt Montaigne eine Argumentation des griechischen Schriftstellers Plutarch (45 bis 125) an, der jene kritisiert, die «in Äffchen und kleine Hunde vernarrt sind». Der angeborene Liebestrieb, falls er kein rechtes Betätigungsfeld finde, hecke kindische Ersatzbefriedigungen aus, um nicht müssig zu bleiben. Auf Deutsch gesagt: Meine Katzenliebe ist eigentlich nur Ausdruck eines Mangels an menschlichen Beziehungen. Mit diesem Vorwurf kann ich gut leben. Weitaus erstaunlicher aber scheint mir, dass es offenbar bereits bei den alten Griechen Menschen gab, die eine besondere Freundschaft zu Tieren pflegten, welche von neidzerfressenen Mitmenschen kritisiert wurde. Sie merken, wie ich mit der Formulierung «neidzerfressene Mitmenschen» Opfer meiner Projektionen werde. Es macht mich nämlich wütend, wenn Tiere nicht als fühlende Wesen wahrgenommen werden. Im psychoanalytischen Sinne müsste ich meine Wut jetzt sublimieren, sie auf eine höhere Ebene heben, damit sich meine Seele, um mit Montaignes Worten zu sprechen, nicht «in sich selbst verliert.» Ich könnte mich auch fragen, ob ich mich vielleicht selbst mit meinen Gefühlen nicht gesehen fühle, wenn ich mich so sehr mit den Bedürfnissen der Tiere identifiziere. Indem ich diesen Blog schreibe, ergründe und sublimiere ich meine Wut, die ich übrigens im Alltag höchst selten rauslasse.
Wann waren Sie denn zuletzt wütend? Auf wen oder was? Und steckt hinter Ihrer Wut vielleicht etwas anderes? War sie nur eine Projektion?
Wir projizieren in unserem Alltag ständig Verdrängtes aufs Gegenüber, auf bestimmte Gesellschaftsgruppen, auf die Politik, um – mit dem Schweizer Psychoanalytiker C. G. Jung zu sprechen – unsere eigenen Schatten nicht ansehen zu müssen. In der Psychoanalyse ist die Lebenssituation, die wir uns durch Gedanken und Handlungen manifestiert haben, selbst Ausdruck unseres Unbewussten. Geishas Therapie sorgte in der Wohngemeinschaft für Diskussionen. Es ging um Verantwortlichkeiten versus persönliche Freiheit, um Verlustängste, Vorwürfe und vieles mehr. Der Konflikt ist noch nicht ausgestanden. Was passiert mit Geisha, wenn ich in Kairo bin? Was danach? Katzenversteher:innen fragen: «Warum nimmst du sie nicht einfach mit ins Land ihrer Vorfahren?»
In Ägypten begannen die Menschen bereits 2000 v. Chr. damit, Katzen bei der Mäuse- und Schlangenjagd in den Getreidespeichern einzusetzen. Die eifrigen Helfer wurden mit der Göttin Bastet in Verbindung gebracht, der Schutzgöttin für Heim, Familie und Fruchtbarkeit. Katzen wurden zum Symbol für Schutz und göttliche Gunst. Die ganze Familie trauerte, wenn ein Tier starb. Verstorbene Katzen wurden sogar einbalsamiert und mit Schmuck beigesetzt. Von dem besonderen Verhältnis der alten Ägypter mit ihren Katzen zeugen Funde in Nekropolen wie Bubastis, wo Archäologen auf 10 000 mumifizierte Katzen stiessen.
Ich werde Ihnen aus dem Land der Katzen berichten.
Bettina Gugger
Bettina Gugger verbrachte die letzten Jahre im Engadin, zuletzt war sie Redaktorin bei der «Engadiner Post/Posta Ladina». Nun hat es sie wieder ins Unterland verschlagen. Sie ist redaktionelle Leiter vom Newsletter «cültür», der einmal wöchentlich das kulturjournalistische Geschehen über die Sprachgrenzen hinaus kommentiert. Zudem arbeitet sie als freie Kulturjournalistin für diverse andere Medien.
2018 erschien ihr Erzählband «Ministerium der Liebe». 2020 folgte «Magnetfeld der Tauben». Im Rahmen eines Stipendienaufenthaltes in Klosters entstand der Kalender «Kunst BERGen», der 24 literarische Texte über Kunst versammelt. Auf bettinagugger.ch veröffentlich sie regelmässig kurze lyrische Prosatexte und vieles mehr.

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