Kürzlich traf ich wieder mal mein alter Ego Hansueli. Nach dem obligaten Streifzug durch familiäre Aktualitäten und pandemische Befindlichkeiten erzählte er mir beim zweiten Bier beiläufig, er sei unlängst in der Ferienregelung seiner Firma auf die Regeln des Vaterschaftsurlaubs gestossen, welche bis 15 Tage frei gewähren bei der Geburt von Kindern oder bei Adoptivkindern.
Es war zwischen dem dritten und vierten Bier, als wir schon etwas euphorisiert zu rechnen begannen: Wenn Sie nämlich wie Hansueli und ich altershalber die eine oder andere Woche mehr Urlaub haben, ein-, zweimal im Jahr umziehen, zwischendurch endlich ihre Liebste oder ihren Liebsten ehelichen und zur Not auch mal ein paar Tage unpässlich sind, dann wird der Begriff «Work-Life-Balance» tatsächlich greifbar. Und wenn Sie es dann noch schaffen, sich die gesetzlichen Feiertage und die Wochenenden konsequent freizuhalten, dann ist es theoretisch tatsächlich möglich, dass Sie mit etwas Detailplanung und übers Jahr verteilt 15 Adoptivkindern ein ganzes Jahr bezahlten Urlaub erhalten. Wenn das nicht ganz neue Perspektiven eröffnet. Allerdings müssen Sie aufpassen, es nicht zu übertreiben und vielleicht im ersten Jahr auch nicht gar alle Möglichkeiten ausreizen. Nicht, dass sich per Ende Jahr noch «Überzeit» ansammelt.
Natürlich lag es fern, uns über Adoptivkinder lustig zu machen. Wir überlegten deshalb, wie wir selbst auch etwas an dieses, wir nannten es «Ferienmodell 365.1», beitragen könnten. Aber so sehr wir auch rechneten, Termine hin- und herschoben und auch Unvorhergesehenes mit in unsere Überlegungen einfliessen liessen, so sehr war uns klar, dass wir mit höchstens einem eigenen Kind zum perfekten Ferienmodell beitragen könnten. Bei einer Mehrfachgeburt, so mutmassten wir, würden sich die gesetzlich definierten Ferientage wohl nicht kumulieren lassen. Eine Mittvierzigerin am Nebentisch schien unsere Diskussion mitzuverfolgen. Sie schaute zu uns hin, nickte bestätigend und hob wie entschuldigend kurz die Schultern.
Autor und Foto: Jon Duschletta
jon.duschletta@engadinerpost.ch
Diskutieren Sie mit
anmelden, um Kommentar zu schreiben