Wenn es ums Testen geht, ist Graubünden Pionierkanton. Ob Flächentests, Betriebs- oder Schultestungen: Der Kanton hat sich seit dem letzten Dezember für diese Strategie entschieden, zieht sie konsequent durch und stösst damit auf Akzeptanz. Testen ist kein Wundermittel gegen Corona. Aber es ist eine Strategie gegen die Pandemie. Weil es gelingt, Infektionsketten frühzeitig zu erkennen und zu durchbrechen. Dass flächiges Testen Schlimmeres verhindern kann, hat sich in der Region im Januar gezeigt, als zwei Luxushotels wegen einer gehäuften Ausbreitung des Coronavirus unter Quarantäne gestellt werden mussten. Mittlerweile setzt auch der Bund auf eine umfassende Teststrategie.
Seit gut zwei Wochen wird an den Bündner Schulen grossflächig getestet. 95 Prozent nehmen daran teil. Wenn sich die Schule Zernez den Spucktests verweigert, ist das ihr gutes Recht. Eine Verpflichtung mitzumachen, gibt es nicht, das Dafür und Dagegen ist offenbar gründlich diskutiert worden, und der Schulrat ist das demokratisch legitimierte Gremium, das zu entscheiden.
Jetzt kommt das grosse Aber: Ein solcher Entscheid muss fachlich fundiert begründet sein. Und das ist er in diesem Fall nicht. Wenn der Schulratspräsident sagt, dass Tests bisher nichts gebracht hätten, wenn er Corona-Tests mit zahnärztlichen Kontrollen vergleicht und wenn er sagt, dass Masken nichts bringen würden und für Kinder ungesund seien, weil sie zu wenige Sauerstoff bekämen, sind das faktenfreie Behauptungen, die von Fachpersonen nicht geteilt werden.
So spricht sich «pädiatrie schweiz», immerhin die vom Berufsverband der Schweizer Ärzte (FMH) anerkannte Fachgesellschaft in der Kinder- und Jugendmedizin, für die Maskenpflicht auf Primarschulstufe aus und steht auch einer erweiterten Teststrategie bei Schulkindern positiv gegenüber.
Die Argumentation des Schulrates orientiert sich nicht an den Vorgaben von Bund und Kanton, sie bewegt sich – weil nicht faktenbasiert – auf sehr dünnem Eis, und das Gremium nimmt für sich in Anspruch, alleine die Wahrheit zu kennen. Wenn in einer Antwort an besorgte Eltern steht, dass der Schulrat beschlossen habe, sich vom Mainstream ab- und der Vernunft zuzuwenden, ist das besserwisserisch und arrogant. Vor allem den Eltern gegenüber, die auf ihre berechtigten Fragen keine überzeugenden Antworten erhalten.
Der Zernezer Schulrat soll noch einmal über die Bücher. Er muss entweder fundierte Argumente liefern, warum Zernez nicht mitmacht. Oder aber, er stösst seinen Entscheid um und nimmt doch an den Schultestungen teil. Dagegen spricht nichts, dafür einiges. Von den Schulen, die mitmachen – und das sind fast alle im Kanton Graubünden – sind bisher keine negativen Reaktionen bekannt, die Tests sind einfach zu handhaben und führen zu einem bescheidenen Mehraufwand. Vor allem aber: Die Flächentests sind freiwillig. Auch für die Eltern und ihre Kinder. Wer nicht will, muss sich nicht testen lassen. Allen anderen aber wird mit dem Nein des Schulrates die Möglichkeit zum Testen in unkompliziertem Rahmen an der Schule genommen. Und das ist nicht richtig.
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Autor: Reto Stifel

Foto: Jon Duschletta