Am 12. Juni wählen die St. Moritzerinnen und St. Moritzer ihren Gemeindepräsidenten. Bereits im vergangenen November hat Mitte-Politiker Martin Binkert seine Kandidatur bekanntgegeben. Mehr Zeit gelassen hat sich der amtierende Gemeindepräsident Christian Jott Jenny (parteilos). Dass er für eine zweite Amtszeit kandidieren will, hat er vor sechs Wochen verkündet. Grosse Wahlplakate, Inserate und viele Leserbriefe in der EP/PL zeugen davon, dass es nur noch knapp drei Wochen bis zur Wahl geht. Jenny oder Binkert? Der Bisherige mit seinem eher unkonventionellen Politstil oder der Neue, der St. Moritz gemäss Eigenwerbung in einem transparenten politischen Prozess vorwärts bringen will? Beide sind sie Sänger, beide Tenöre. Jenny hat als Solist Karriere gemacht, Binkert ist der Chorsänger.
Was aber unterscheidet die beiden? Welche politischen Ziele vertreten sie und was haben sie mit St. Moritz im Sinn? Die EP/PL hat Christian Jott Jenny und Martin Binkert auf dem Platz vor dem Rathaus zu einem Streitgespräch getroffen. Gestritten haben sie wenig, trotzdem unterscheiden sich ihre Positionen in verschiedenen Punkten. Ein kleiner Auszug aus dem Interview:
EP: St. Moritz ist die grösste und wichtigste Gemeinde in der Region. Ihr gehört eine Führungsrolle. Nimmt sie diese auch wahr?
Binkert: Für mich ganz klar nicht. Wir haben in letzter Zeit viel Goodwill verloren und das Zepter aus der Hand gegeben. Weil die anderen realisieren, dass wir in St. Moritz primär mit uns selber beschäftigt sind.
Jenny: Wenn St. Moritz die Führungsrolle wahrnimmt, gibt es sofort ein Riesengeschrei, warum die Gemeinde wieder vorprescht. Oder aber man wirft uns vor, wir würden unsere Rolle vernachlässigen. Aber das ist die DNA von St. Moritz, der Widerspruch dieses Ortes. Wir sind in der Region die grosse Stadt und ich verstehe, dass gewisse Gemeinden Mühe haben, sich um die grosse Sonne in diesem Planetensystem einordnen zu müssen. Die Aufgaben von St. Moritz sind aber teilweise ganz anders, Stichwort Tourismus. Die Marke Engadin ist zu 90 Prozent schweizerisch angelegt. Die Marke St. Moritz hingegen ist ein internationaler Brand, der anders geführt werden muss.
Wie unterscheiden Sie sich in Ihrer politischen Arbeit von Christian Jott Jenny?
Binkert: Ich suche den Konsens und will vorausdenkend überlegen, wo wir hinwollen und wen wir dafür mit ins Boot nehmen. Mit Überzeugung möchte ich die Leute dorthin führen, auch wenn es ihnen im Innersten von ihrer politischen Überzeugung her vielleicht widerspricht. Aber St. Moritz steht im Vordergrund und nicht das Parteibuch.
Jenny: Verschiedenste Streithähne an einen Tisch zu bringen liegt mir. Das habe ich als Unternehmer bewiesen oder als Organisator des Festival da Jazz. Und ich konnte es auch in meiner Funktion als Gemeindepräsident. Auch wenn das nicht immer öffentlich wurde, wegen dem Amtsgeheimnis.
Wo unterscheiden Sie sich vom Typ her?
Jenny: Zuerst: Wir haben etwas Gemeinsames: Wir sind zwei Tenöre, die sich um dieses Amt bewerben. Nur hat das bis jetzt niemand rausgefunden.
Binkert: Ja, ich singe auch bei den Las Lodolas und im Kirchenchor. Aber nicht so gut wie Christian. In einem Kirchenchor war er übrigens auch einmal dabei. Er ist dann ausgetreten, nachdem er seine Solokarriere gestartet hatte.
Jenny: ... ja, und es fehlt mir tatsächlich grausam. Chorsingen ist sehr schön, ich war schliesslich Sängerknabe. Aber irgendwann machst du das nicht mehr.
Binkert: Das macht vielleicht den charakterlichen Unterschied aus. Ich bin Chorsänger, der gesellschaftliche Typ, der das Miteinander geniesst und so wie ich Christian kennengelernt habe, ist er der Solokünstler, der gerne im Rampenlicht steht.
Jenny: Aber ein Solist ist nichts ohne ein hervorragend dirigiertes Orchester.
Interview: Reto Stifel
Foto: Daniel Zaugg
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