Der Treffpunkt mit Maurizio Pirola ist an der Via Somplaz beim Segantini Museum in St. Moritz. Während des Interviews auf einer Sitzbank mit bestem Blick auf den auftauenden St. Moritzersee ist im Hintergrund der Lärm von Baumaschinen zu hören. Die dritte Etappe der Leitungssanierungen im Auftrag der Gemeinde steht an. Wasser-, Kanalisations- und Meteorwasserleitungen werden neu gemacht. An der Arbeit ist die Firma Martinelli deren geschäftsführender Inhaber Maurizio Pirola ist. Pirola ist auch Präsident des Graubündnerischen Baumeisterverbandes (GBV). Das Gespräch findet am Osterdienstag statt, an dem Tag also, an dem die Oberengadiner Bausaison so richtig losgeht.

Ein Auszug aus dem Interview, das ganze Gespräch lesen Sie in der gedruckten Ausgabe vom 18. April.


Engadiner Post: Herr Pirola, die Bausaison 2023 hat begonnen. Wie gut sind die Auftragsbücher der Bündner Bauunternehmer gefüllt?
Maurizio Pirola: Die Rückmeldungen unserer Mitglieder stimmen positiv. Überall hat es sehr gut Arbeit, mit gewissen Einschränkungen im Misox.

Und im Engadin?
Die Auftragslage im Engadin ist sehr gut. Sowohl im Hoch- wie auch im Tiefbau. Der Kanton baut etwas weniger, bei den Gemeinden verzeichnen wir in etwa das gleiche Volumen wie im vergangenen Jahr.

Eine gute Work-Life-Balance ist für Arbeitssuchende heute sehr wichtig. Die jüngere Generation will sich nicht mehr für einen Job aufopfern und rund um die Uhr schuften. Da hat die Baubranche mit ihrer starken Saisonalität keine guten Karten?
Das ist das Problem, und dieses ist bei uns im Engadin noch ausgeprägter als beispielsweise im Bündner Rheintal. Von April bis Dezember ist der Druck enorm hoch, im Winter haben wir eher zu wenig Arbeit. Ein Modell könnte sein, dass ein Arbeiter nach der Bausaison einen Monat länger frei macht. Wir konnten mit der paritätischen Berufskommission vereinbaren, dass wir im Sommer mehr Stunden leisten und diese dann bis Ende Januar kompensieren können. Noch einmal ein zusätzlicher Monat frei ist wegen den Vorschriften im Arbeitsgesetz nicht möglich. Das Problem ist sehr vielschichtig und unterscheidet sich von Region zu Region, aber auch von der Art der Arbeit. Der Strassenbau beispielsweise kommt im Winter komplett zum Stillstand. All diese Faktoren führen dazu, dass wir oft nicht eine Jahresstelle bieten können, obwohl gerade die guten Leute genau eine solche suchen.

Sie sind auch Präsident des Graubündnerischen Baumeisterverbandes. Wie wichtig ist dieser Branchenverband für seine Mitglieder?
Sehr wichtig. Während der Corona-Pandemie waren wir wie die anderen Verbände auch an vorderster Front involviert und hatten mit der Regierung regelmässig Sitzungen. So konnten wir unsere Mitglieder über wichtige Beschlüsse frühzeitig informieren. Das war in dieser schwierigen Zeit ein Vorteil. Aber auch sonst unterstützt der Verband seine Mitglieder, wo es geht. Der Zusammenhalt in der Baubranche ist gut, der Austausch mit den anderen Mitgliedern sehr wichtig. Das wird von vielen unterschätzt, was ich bedaure.

Die Auswertung einer Mitgliederbefra­gung vom Herbst letzten Jahres zeigt, dass der GBV grundsätzlich gute Noten erhält mit leichten Abstrichen bei der Politik. Da wünschen sich die Mitglieder klare Positionsbezüge und Engagement bei Abstimmungen und Wahlen. Ist der Verband zu zahm?
2010 bei der Lancierung der Zweitwohnungsinitiative haben wir rückblickend gesehen als Verband zu wenig gemacht. Allerdings stellt sich die Frage nach dem Zuviel oder Zuwenig immer. Wären wir bei der Zweitwohnungsinitiative sehr viel aktiver gewesen, hätte man uns Eigeninteresse vorwerfen können, was auch wieder kontraproduktiv gewesen wäre. Aber ja, wir hätten die Leute besser aufklären müssen, was eine Annahme der Initiative zur Folge hat. Denn genau das, was jetzt mit dem fehlenden Wohnraum passiert und der Preisexplosion bei den altrechtlichen Wohnungen, ist eine Folge der Zweitwohnungsinitiative.

Vor nicht allzu langer Zeit machte die Bündner Baubranche wegen Preis­abspra­chen von sich reden. Anlässlich der Generalversammlung der Bündner Baumeister vom letzten Jahr sagte der damalige Regierungsrat Mario Cavigelli, diese Ereignisse seien gemeistert. Sehen Sie das auch so?
Das Thema ist nicht verschwunden, aber es ist auch nicht mehr dauerpräsent. Ich bin der Meinung, dass wir das Ganze gut aufgearbeitet haben. Eines darf man bei der Diskussion nicht vergessen: Die Baukartell-Geschichten gehen 20 Jahre zurück. Damals galten noch nicht die gleichen Regelungen wie heute, Absprachen waren nicht per se verboten. Aber dass Sie mich richtig verstehen: Auch wenn es nicht verboten war, war es nicht richtig, dass es gemacht worden ist. Wir haben die Geschichte – auch auf Druck der Öffentlichkeit – sauber aufgearbeitet.

Konkret?
Die Compliance-Regeln haben wir seitens des GBV aus von null aus erarbeitet, der Schweizerische Baumeisterverband hatte nichts Derartiges, hat uns aber einen Teil unserer Arbeit abgekauft und schweizweit übernommen. Auch die Themen Korruption und Datenschutz sind wir aktiv angegangen. In Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften.

Die Ergebnisse aus den Arbeiten sind aber reine Empfehlungen?
Das ist so. Das sind recht umfangreiche Dossiers, die aufzeigen, wie konkret vorzugehen ist. Im Prinzip kann man diese aus der Schublade ziehen und umsetzen, allenfalls mit kleinen Anpassungen an den eigenen Betrieb. Vor zwei Jahren an der Generalversammlung des GBV wurde das ganze Thema Compliance sehr breit vorgestellt.

Und trotzdem gibt es wieder eine Untersuchung im Misox?
Leider ja, und das verstehe ich nicht. Nachdem was wir in den letzten Jahren alles durchmachen mussten und nachdem wir verbindliche Regeln ausgestellt haben, habe ich null Verständnis, wenn jemand noch solche Absprachen trifft.

Also können Absprachen immer noch passieren?
Ja. Aber sie sollten nicht mehr passieren. Zurzeit laufen im Fall Misox erst die Untersuchungen und es gilt die Unschuldsvermutung. Sollten sich die Vorwürfe wegen Preisabsprachen aber erhärten, werden die fehlbaren Mitglieder aus dem Verband ausgeschlossen.

Autor: Reto Stifel

Foto: Daniel Zaugg