«Journalismus ärgert. Der gute Journalismus erbost diejenigen, die er treffsicher kritisiert. Der schlechte Journalismus ist sowieso eine Plage. Am schlimmsten aber ist die Abwesenheit von Journalismus.» Mit diesem Sätzen leitet der Publizist und ehemalige SRG-Generaldirektor Roger de Weck sein jüngstes Werk ein. Im Buch «Das Prinzip Trotzdem» erläutert er, wie es gelingen kann, heute Journalismus zu machen, trotz der Medienkrise. Es gibt immer mehr Medien, aber immer weniger Mittel für den Journalismus. Die Haupteinnahmequelle Werbung fällt zunehmend weg, digitale Plattformen bieten Gratis-Inhalte und «Kurzfutter». Taktgeber sind die sozialen Medien.
Viele Medienhäuser reagieren auf diese Entwicklung mit zugespitzten Schlagzeilen und seichten Themen. Das Ziel der Unternehmen: mit möglichst wenig Angebot möglichst viel Publikum zu erreichen. «Es zählt nicht mehr das Relevante, sondern vorgeblich das, was das Publikum interessiert», erläutert Roger de Weck. Er ist der Ansicht, dass das der falsche Weg ist. Auf der Strecke bleiben die vertiefte Recherche, der Faktencheck, die Einordnung. Oder anders gesagt: der Qualitätsjournalismus.
Lokaljournalismus muss genau sein
Gemäss Roger de Weck ist der Lokaljournalismus noch der genaueste Journalismus. «Wenn Sie den geringsten Fehler in der Lokalzeitung haben, haben sie rundherum nur Fachleute – und überall dort, wo es eine hohe Konzentration an Fachleuten gibt, muss der Journalismus umso genauer sein.» Die Vorstellung, nur darauf zu achten, was beim Publikum funktioniert, sei «hirnrissig». Die «Engadiner/Posta Ladina» mache das Gegenteil und bilde die Region in ihrer ganzen Vielfalt ab. Die Identifikation der Leserschaft mit dem Produkt sei hoch, die Sympathie ebenfalls.
«Es besteht ein tiefes Bedürfnis im Publikum, die eigene Lebenswelt abzubilden, und das wird im Klick-Journalismus je länger je weniger gemacht», erklärt de Weck. Kulturveranstaltungen, Gemeindepolitik oder Volksanlässe, solche Themen würden fast nur noch im Lokaljournalismus Visibilität erfahren. Wo man ganz nah bei den Leuten bleibe, «aber nicht anbiedernd», könne Journalismus dem Experten zufolge sehr viel mehr erreichen als mit blosser Klick-Maximierung. Klick-Journalismus interessiere sich nicht für die Lebenswelt der Menschen, sondern nur dafür, was angeblich zieht.
Die Rückkehr der langen Form
«Wenn ein Medium beginnt, die sozialen Medien nachzuahmen, ist es verloren», sagt de Weck. Aktuell wachse eine Generation heran, die hervorragend ausgebildet sei. In vielerlei Hinsicht seien Teile der jungen Generation sehr engagiert, zum Beispiel beim Thema Klima. Von «Kurzfutter», um die Jungen zu erreichen, hält er nichts. De Weck empfiehlt vielmehr, die sozialen Medien zu nutzen, um die Jugend an längere Artikel heranzuführen. Mehr Information, weniger Desinformation, auch auf Instagram und TikTok. «Wir erleben zurzeit die Rückkehr der langen Form, sei es bei den guten Artikeln, bei Büchern, beim Dokumentarfilm oder bei Podcasts», erklärt er.
Roger de Weck sieht viele junge Talente, die in den Journalismus wollen. Aber gleichzeitig schrecke es viele gute Köpfe ab, in einer Branche einzusteigen, in der aktuell nur abgebaut werde, während in die sozialen Medien und in KI investiert wird.
Unabhängigkeit dank Stabilität
Der Experte plädiert dafür, dass lokale und regionale Medien öffentliche Unterstützung bekommen. Viele Lokalzeitungen befänden sich in einer prekären finanziellen Lage. Journalistische Unabhängigkeit sei aber nur mit finanzieller Stabilität möglich. Laut de Weck geht es darum, den Journalismus zu fördern, nicht den Medienbetrieb.
Staatliche Förderung bestärke die Freiheit des Journalismus, sofern eine unabhängige Förderinstanz allgemeingültige, feste Regeln anwende. Als positives Beispiel nennt er die Freiburger Zeitung «La Liberté, die nur überlebt hat, weil die Kantonsregierung rechtzeitig Journalismuspolitik betrieben hat».
Politischer Föderalismus und gleichzeitig medialer Zentralismus – das passe nicht zusammen. «Journalismus ist zugleich das Fundament und die Infrastruktur der Demokratie», betont der Autor. Aktuell laufen vielerorts die Gesetze des Journalismus und der Medienhäuser auseinander. Die Kunst besteht laut de Weck darin, Journalismus trotz Medienkrise, trotz Medienkonzentration, trotz des Abbaus der Redaktionen, trotz der globalen Plattformen, trotz des kommerziellen Drucks zu betreiben. «Wer sich nur nach der Nachfrage richtet, macht keine guten journalistischen Produkte», so de Weck.
Roger de Weck: Das Prinzip Trotzdem. Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen. Suhrkamp 2024. ISBN 978-3-518-12863-3
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