Ferienregionen in den Bergen stehen vor der Herausforderung, ihre Gemeinden möglichst ganzjährig zu beleben. Ein Ansatz, um diese Entwicklung zu fördern und gleichzeitig Tourismus und Lebensraum zu verbinden, ist das Community Building. Gemeinschaften führen zu einem Gefühl der Zugehörigkeit, zu Engagement und im besten Fall zu einer ganzjährige Belebung eines Dorfes oder einer Region. Mitglieder einer Community haben tendenziell eine stärkere Verbindung zu einem Ort als Einheimische, Zweitheimische oder Gäste, die keiner Community angehören.
Gemäss dem «Leitfaden zur Entwicklung lokaler Gemeinschaften» birgt der Aufbau einer starken Community grosses Potenzial für Ferienregionen in den Bergen, für Tourismusorganisationen ebenso wie für Gemeinden. Der Leitfaden ist im Rahmen eines von Innotour (SECO) geförderten Projekts entstanden. Erarbeitet wurde er von der Fachhochschule Graubünden in Zusammenarbeit mit den Pilotregionen Bregaglia Engadin Turismo und Andermatt Swiss Alps.
Lebendige Orte das ganze Jahr
Klar ist: Gäste mit sozialen Bindungen vor Ort kommen häufiger wieder. Wohnungsbesitzerinnen und -besitzer, die sich eingebunden fühlen, beleben die Region auch ausserhalb der Hochsaison, und davon profitieren lokale Unternehmen und die Infrastrukturen werden genutzt.
In Andermatt ist im Rahmen des Projekts eine Zweitheimischen-Community entstanden. Andermatt Swiss Alps AG (ASA) war dabei die initiierende Organisation. Das Ziel war, die Zweitheimischen mehr miteinander in Kontakt zu bringen, damit Freundschaften und Verbindungen entstehen. Diese wiederum sollten dazu motivieren, sich häufiger und länger in der Destination aufzuhalten.
Konkret wurden persönliche Begegnungsmöglichkeiten eingeführt, zum Beispiel in einer örtlichen Bar. Dieser Anschub führte dazu, dass engagierte Zweitheimische nun in Eigeninitiative regelmässige Aktivitäten für Zweitheimische organisieren.
Gemeinsam das Tal erkunden
Weniger erfolgreich war das Projekt mit einer Spaziergang-Community im Bergell. Nach dem ersten Sommer letztes Jahr wurde das Angebot mangels Interesse nicht mehr weitergeführt. Im Bergell hatte eine Analyse ergeben, dass mehr Begegnungsmöglichkeiten für Einheimische und Zweitheimische gewünscht werden. Bregaglia Engadin Turismo lancierte darum die Idee, einmal im Monat einen zweistündigen, einfachen Spaziergang zu organisieren, der etappenweise von Maloja bis Castasegna führen sollte. Auf diese Weise sollten Einheimische und Zweitheimische in einer ungezwungenen Atmosphäre miteinander in Kontakt kommen und die Region gemeinsam entdecken. Die Idee war, dass durch die regelmässigen Treffen Verbindungen zwischen den Teilnehmenden entstehen, die dann über die organisierten Spaziergänge hinausgehen.
Bregaglia Engadin Turismo stellte die Guides für die Spaziergänge und kümmerte sich um deren Organisation, Durchführung und Kommunikation. Doch die tiefen Teilnehmerzahlen zeigten, dass die gemeinsamen Spaziergänge keine Zukunft haben.
Community Building braucht Zeit
Besser funktioniert Community Building bei zwei bereits bestehenden Angeboten: bei der Malschule von Romano Giovanoli in Vicosoprano und den Spielenachmittagen für Senioren in Castasegna. «Romano Giovanoli macht eigentlich bereits genau das, was im Leitfaden für Community Building vorgeschlagen wird: Er baut eine Gemeinschaft rund um das Malen auf», sagt Eli Baumgartner, Direktorin Bregalia Engadin Turismo.
Auch die Spielenachmittage, die Rebecca Tiberini für «La terza età» leitet, funktionieren gut. «Es ist einfacher, etwas Bestehendes weiterzuentwickeln, als eine neue Community bilden zu wollen», lautet ihr Fazit. Community Building brauche Zeit. Und Gemeinschaften leben von Menschen, die Zeit haben oder sich für ein spezifisches Interesse Zeit nehmen wollen.
Schlüsselfiguren sind zentral
Onna Rageth ist wissenschaftliche Projektleiterin der Fachhochschule Graubünden. Ihre Haupterkenntnis bei diesem Projekt lautet: «Community Building steht und fällt mit Menschen, die sich engagieren.» Schlüsselpersonen zu finden, sei darum der wichtigste Schritt im Prozess der Gemeinschaftsbildung. Gerade im Bergell seien mit Romano Giovanoli und Rebecca Tiberini sehr engagierte Einheimische entscheidend für die Gemeinschaftsbildung im Tal.
Der praxisorientierte «Leitfaden zur Entwicklung lokaler Gemeinschaften» ist laut Onna Rageth nicht nur ein Papiertiger. Er basiere auf wissenschaftlichen Grundlagen und den konkreten Praxiserfahrungen in den beiden Pilotregionen und stehe touristischen Akteuren, Gemeinden und weiteren lokalen Organisationen gratis als Download zur Verfügung. «Wir haben bereits sehr gute Feedbacks aus anderen Destinationen erhalten, die den Leitfaden anwenden wollen», sagt sie. Vor allem die IG Zweitheimische zeige Interesse. «Community Building entsteht oftmals auch aus einem Problem, das man gemeinsam lösen möchte», erklärt Onna Rageth. Der Leitfaden sei eine Möglichkeit, die Herausforderung, dass Einheimische und Zweitheimische besser zueinanderfinden, zu meistern.




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