Vor drei Wochen hat das Wirtschaftsforum Graubünden (Wifo) seine Studie «Wohnungsmangel in GR!?» vorgestellt. Die wesentlichen Schlüsse: Die Wohnungsknappheit besteht, aber die Zweitwohnungsnachfrage ist nicht ein primärer Treiber. Vielmehr ist es die Alterung der Gesellschaft und die Arbeitsplatzentwicklung, welche in einigen Regionen zu einem gravierenden Mangel an erschwinglichem Wohnraum für die einheimische Bevölkerung geführt haben. 
Am Dienstag hat das Wirtschaftsforum die Studie anlässlich eines Webinars vertiefter vorgestellt und ist vor allem auf die Korrelation zwischen Arbeitsplatzangebot und Erstwoh­nungs­bedarf eingegangen. Dabei ist das Wifo davon ausgegangen, dass netto betrachtet, auch künftig keine altrechtlichen Wohnungen, Wohnungen also, die in der Nutzung frei sind, für den Erstwohnungsmarkt zur Verfügung stehen werden. Dies, weil die Nachfrage nach Zweitwohnungen hoch ist und hoch bleiben wird.

Gemäss der Studie hat in Graubünden die im Berufsleben stehende Bevölkerung unter anderem in der Region Engadin in absoluten Zahlen gerechnet abgenommen. Zwischen 2011 und 2019 hat aber die Anzahl der Arbeitsplätze um 7690 Beschäftigte zugenommen. Zwar sind seither aufgrund der Pandemie einige Arbeitsplätze verschwunden, diese dürften aber bereits im laufenden Jahr wieder wettgemacht werden. Diese neuen Arbeitsplätze führen bei einer mittleren Haushaltsgrösse von zwei Personen zu einem Bedarf von rund 4000 neuen Wohnungen. Der rechnerisch ermittelte Zupendlersaldo zeigt, dass dieser um gut 9000 Personen zugenommen hat, knapp die Hälfte davon sind Grenzgängerinnen und Grenzgänger. Im Umkehrschluss bedeutet das gemäss Studie des Wifo, dass die zusätzlich geschaffenen Stellen durch Personen besetzt werden mussten, welche nicht in Graubünden wohnen und deshalb pendeln wollen oder müssen. Weil sie keine Wohnung finden oder weil sie sich gar nicht hier niederlassen wollen. 
Das Engadin als typische Grenzregion stellt noch einmal einen Sonderfall dar. Viele Arbeitnehmende, welche über die Grenze zur Arbeit kommen, nehmen den langen Arbeitsweg aus den verschiedensten Gründen bewusst in Kauf und haben kein Interesse an einer Wohnung an ihrem Arbeitsort. «Wenn wir beispielsweise im Oberengadin die Grenzgänger nicht als potenzielle Zuzüger betrachten, besteht eigentlich gar kein Wohnungsmangel», relativierte Peder Plaz, Mitverfasser der Studie am Webinar die Bedeutung des Erstwohnungsbedarfs. Er geht auch nicht davon aus, dass sich an dieser Situation mit dem Abschluss des neuen Grenzgängerabkommens zwischen der Schweiz und Italien gross etwas ändern wird. Ein Interview mit Peder Plaz und mehr Details zur Studie gibt es in der gedruckten Ausgabe vom 14. September zu lesen.

Autor: Reto Stifel

Foto: Daniel Zaugg