«Hände waschen, Hände waschen muss ein jedes Kind. Hände waschen, Hände waschen, bis sie sauber sind ...» So beginnt ein Kinderlied, welches in der Kinderkrippe «Muntanella» in St. Moritz-Bad wohl gerade regelmässiger gesungen wird als jedes andere.
Gerade mal vier Kinder stimmen an diesem Dienstagvormittag in der hellen und geräumigen Kinderkrippe zaghaft in das Lied ein, bevor die beiden grösseren Kinder im nahen Waschraum artig das Gesungene in die Tat umsetzen, sich an den Küchentisch setzen und fein duftende Pasta serviert bekommen.
Alltag in der Kinderkrippe – und doch nicht. Normalerweise tummeln sich hier zwei Dutzend und mehr Kinder im Alter von wenigen Monaten bis zum Eintritt in den Kindergarten, und das im Schnitt während zwei bis drei Tagen pro Woche. Viele Eltern und damit Klienten der Stiftung KiBE Kinderbetreuung Oberengadin arbeiten nun angesichts der Coronabedingten Ausnahmesituation nicht oder von zu Hause aus und betreuen ihre Kinder selbst. Wem dies verwehrt bleibt, kann im Oberengadin auf die professionelle Kinderbetreuung der KiBE zählen. Im Unterengadin bietet die 2001 gegründete Società Chüra d’uffants Engiadina Bassa ein ähnlich gelagertes Angebot an, und in der Valposchiavo die Associazione Appoggio familiare Valposchiavo.
Weil diese Kinderbetreuung als systemrelevant für die Umsetzung der Gesundheitsstrategie des Bundes gilt – unter anderem, weil damit der Kontakt zwischen den Generationen eingeschränkt wird – können Kitas, also Kindertagesstätten, trotz aller Einschränkungen weiterhin arbeiten.

Frau der ersten Stunde
Brigit Ferrari gilt im Oberengadin als eine der «Frauen der ersten Stunde». Zusammen mit der Teilzeitangestellten Annatina Frizzoni leitete die Kleinkinderzieherin Ferrari die Anfang Juni 1995 eröffnete Kinderkrippe «Chünetta» in Samedan und ist der sozialpädagogischen Institution bis heute treu geblieben. Sie schlug diesen Weg nicht wie andere wegen der eigenen Kinder ein, sondern wurde vom damaligen Tagesmütter-Verein «Kinderbetreuung Engadin» angefragt, beim Aufbau einer Kinderkrippe behilflich zu sein (siehe geschichtliche Chronik im Anhang).
«Schon damals war in der Region das Bedürfnis nach einer Krippe vorhanden», erinnert sich Brigit Ferrari im Eingangsbereich der St. Moritzer Kinderkrippe «Muntanella», welche sie heute leitet. Die KiBE-Geschäftsleiterin Alice Bisaz ergänzt, dass Brigit Ferrari damals als einzige über das dringend benötigte Fachwissen im Bereich der Kleinkinderziehung im Kreise höchst motivierter, aber idealistisch agierender Vereinsvorstände verfügte. «Es stand alles auf sehr wackligen Beinen, und auch aus finanzieller Sicht blieb immer die Frage, ob das Geld am Ende des Monats noch für die Löhne reicht.» Schon in dieser Anfangszeit waren die Initiantinnen auf das Wohlwollen der Gemeinden angewiesen. Planungssicherheit und anschliessend auch fixe finanzielle Unterstützung erhielten sie aber erst mit dem 2003 beschlossenen «Gesetz über die Förderung der familienergänzenden Kinderbetreuung im Kanton Graubünden».

Mehr als ein Entlastungsinstrument
Brigit Ferrari hat diese schwierige Anfangsphase hautnah miterlebt: «Es fehlte vor allem lange an der Akzeptanz. Ich musste immer wieder erklären, weshalb ich den Beruf der Kleinkinderzieherin gelernt hatte und weshalb es im Engadin Kinderkrippen braucht.» Seither ist viel passiert, auch in den Köpfen. Für Alice Bisaz ist Kinderbetreuung deshalb auch viel mehr als ein nettes Instrument zur Entlastung von Eltern oder Elternteilen: «Es hat eine gesellschaftliche Entwicklung stattgefunden, nicht zuletzt aufseiten der Frauen. So, wie unsere Angebote in der Regel genutzt werden, entspricht dies einem möglichen Arbeitspensum von 40 bis 60 Prozent. Das reicht vielen Frauen vielleicht, um im angestammten Beruf à jour zu bleiben, aber sicher nicht, um Karriere zu machen.»
Die beiden Frauen beklagen leise die oftmals fehlende Akzeptanz und Wertschätzung ihrer eigenen und der Arbeit ihrer Mitarbeiterinnen gegenüber. Eine Arbeit, die einen wichtigen Sozialisierungs- und Integrationsauftrag erfüllt. «Wir betreuen Kinder aus allen Einkommensschichten und verschiedenster Herkunft. Wenn fremdsprachige Kinder die Krippen besuchen, so bekommen diese bereits früh wichtige soziale, sprachliche und auch kulturelle Aspekte vermittelt», sagt Alice Bisaz. «Damit erreichen wir eine wichtige Integration, welche den Kindern auf ihrem weiteren Weg sehr hilfreich sein kann, gerade in Bezug auf deren Einschulung und Chancengleichheit.»
Brigit Ferrari macht ein Beispiel: «Wir bekommen viele Rückmeldungen von Kindergärtnerinnen. Die merken sehr genau, ob ein Kind vor dem Kindergarten eine Krippe besucht hat.» Diese Kinder, so Ferrari, würden die Sprachen besser kennen, aber auch schon schulische Tagesabläufe und soziales Verhalten, Toleranz, Akzeptanz und auch Wertschätzung untereinander und auch dem Umfeld und der Umwelt gegenüber üben.
Und dank der in der Kita integrierten Küche und der angestellten Köchin Waltraud Poltera könnten sich die Kinder zudem gesund und abwechslungsreich ernähren. «Kinder essen nun mal lieber, was sie in der Entstehung miterleben oder das, bei dem sie sogar aktiv mithelfen können.» Alice Bisaz lobt abschliessend und gerade in Bezug auf die aktuelle Krisensituation den generell positiven Austausch zwischen der KiBE und anderen Institutionen, Gemeindebehörden oder auch der Tourismusdestination. «Auch wenn wir kein gemeindeeigener Betrieb sind, so sind Informationen und Unterstützungen immer auch ein positives Zeichen der Zugehörigkeit.»

Geschichtlicher Abriss über 25 Jahre Kinderkrippen im Oberengadin
1991 Auf Initiative der Samedner Kinderärztin Noemi Brunner und von Barbara Schwarzenbach vom regionalen Sozialdienstes entsteht ein Tagesmutterverein
mit dem Namen «Kinderbetreuung Engadin» (KiBE) mit Katharina Hauptlin Säuberli als erster Präsidentin.
1995 In Samedan eröffnet die erste Engadiner Kinderkrippe «Chünetta» (diese wird später in «Chüralla»/Schmetterling umgetauft) unter Leitung von Josy Caduff und mit der ersten Krippenleiterin Brigit Ferrari. In den nachfolgenden sechs Jahren erarbeitet die KiBE mithilfe der jungen Wirtschaftskammer ein Finanzierungsmodell, welches ab 2001 zur subsidiären finanziellen Unterstützung der damaligen elf Kreisgemeinden führt.
2003 In Graubünden verabschiedet das Stimmvolk das «Gesetz über die Förderung der familienergänzenden Kinderbetreuung» und in St. Moritz wird die zweite Kinderkrippe «Muntanella» eröffnet. Auf Initiative des Samedner ETH-Professors Angelo Pozzi sowie der beiden St. Moritzerinnen Regula Degiacomi und Margrit Robustelli entsteht die «Stiftung für das Kind im Oberengadin» mit Angelo Pozzi als ersten Präsidenten.
2007-2011 Die «Stiftung für das Kind im Oberengadin» und die KiBE erarbeiten ein Standortkonzept für zukünftige Kinderkrippen. Dank privater Spenden und Baurechtsverträgen der Bürgergemeinde Samedan und der Gemeinde St. Moritz können die beiden ersten eigenen Kinderkrippen gebaut und in Betrieb genommen werden.
2010 In Zuoz öffnet die dritte Kinderkrippe «Randulina» ihre Türen.
2014 Der Verein KiBE wird in die «Stiftung für das Kind im Oberengadin» eingegliedert und gleichzeitig in «Stiftung KiBE Kinderbetreuung Oberengadin» umbenannt.
2015 In Samedan wird die Kleinkrippe «Libella» eröffnet und Alice Bisaz aus Samedan wird erste KiBE-Geschäftsleiterin.
2019 In Pontresina entsteht die vierte Kinderkrippe «Capricorn». Die Kleinkrippe «Libella» wird stillgelegt.
2020 Die Stiftung KiBE feiert 25 Jahre Kinderkrippen im Oberengadin, und der langjährige Stiftungsratspräsident Angelo Pozzi übergibt das Zepter an Laurence Badilatti aus Zuoz. (Quelle: Jahresbericht 2019 KiBE)

Weitere Informationen unter www.kibe.org oder unter www.kibesuisse.ch.

Autor und Foto: Jon Duschletta