Die Reihe «Naturama» des Schweizerischen Nationalparks war am Mittwochabend zu Gast im Hotel Reine Viktoria in St. Moritz. Der grosse Theatersaal war coronamässig eingerichtet und mit 76 Besuchern sehr gut besetzt. Hans Lozza, Leiter Kommunikation des SNP, umschrieb den Referenten Christian Schlüchter als einen menschenfreundlichen Professor, der sich auch um das leibliche Wohl der Studierenden kümmere. Zur Geologie sei der Emmentaler Bauernsohn gekommen, als auf dem elterlichen Hof ein Problem mit einer Quelle auftrat und der herbeigerufene Geologe ihn fasziniert habe.

Bäume im Silvaplanersee ...
Als die Tochter von Christian Schlüchter einst im Silvaplanersee tauchen ging, stiess sie auf «einen Wald», nahm eine Holzprobe und das Thema «Unterwasserbäume» war beim Vater lanciert. Da unten stehen zwei Bäume und ein weiterer liegt auf dem Seegrund. Der Kürzere der beiden stehenden Bäume lebte von circa 522 bis 1017, also zum Ende der Römerzeit und im frühen Mittelalter. Anfang des 11. Jahrhunderts entstand in Silvaplana eine erste Kirche. Der auf dem Seegrund liegende Baum lebte mindestens von 1433 bis 1566 und damit zur Zeit, als in Silvaplana die heutige Kirche gebaut worden ist.

… und Bäume im Silsersee
Im Silsersee wird viel getaucht. Auch der kürzlich verstorbene, frühere Kantonspolizist Urs Grigoli ist dort viel getaucht und hat neben Abfall auch stehende Bäume beobachtet. Er stand mit dem Referenten in regem Kontakt.
Die von Christian Schlüchter untersuchten Bäume – eine Lärche und eine Fichte – stehen mitten im See südöstlich der Lokalität «Plan di mort» in einer Wassertiefe von rund 20 Metern. Die Fichte wurde etwa 70, die Lärche nur 64 Jahre alt und beide starben um das Jahr 700. Um diese Zeit erschütterte auch ein grosser Turbidit, ein lawinenartiger Ablagerungsvorgang, den Silsersee.

ARA Furnatsch liefert Erklärung
Da heimische Bäume nicht unter Wasser wachsen können, braucht es eine Erklärung dafür, wie die Seespiegel unter die natürliche «Talsperre» bei Champfèr sinken konnten. Christian Schlüchter versuchte erfolglos die Tiefstände mit klimabedingten, alpenweiten Seespiegelschwankungen oder mit Gletscherschwankungen in Verbindung zu setzen. So brachte er den Vergleich mit einer Badewanne ins Spiel: «Stellt euch vor, die Seen wären wie eine Badewanne, in der man den Stöpsel zieht, um sie zu entleeren.»
Seine Überlegung basiert auf einer Entdeckung, die beim Bau der ARA Furnatsch bei S-chanf gemacht wurde. Dort fand man im Baugrund nämlich nicht nur soliden Fels, sondern auch von wasserführenden Karsthohlräumen durchlöchertes Gestein. Anstatt den Inn hinunter fliesst hier ein grosser Teil des Talwassers durch Karsthohlräume ab. Was, wenn auch bei den Oberengadiner Badewannen-Seen «der Stöpsel gezogen» worden wäre? Wenn beispielsweise die Erschütterung eines Erdbebens dazu geführt hätte, dass sich ein gegen oben verschlossenes Karstsystem unter dem See geöffnet hätte und dadurch grosse Wassermengen abgeflossen wären?

Was bleibt sind viele offene Fragen
Am dadurch neu entstandenen, tiefer gelegenen Ufer und dahinter wären Bäume gewachsen. Bis sie ein erneuter Anstieg des Seespiegels ertränkt hätte. Aber wo hätte ein solcher Stöpsel gezogen werden können? Im Champfèrersee, in dem ein Profil es vermuten liesse? Oder doch bei Plaun da Lej oder Sils Maria, wo mächtige, karstverdächtige Gesteinsschichten bis auf Seeniveau hinunterziehen? Oder vielleicht entschwand das Seewasser doch nicht durch Karsthohlräume, sondern via durchlässige Zonen entlang der tektonischen Engadiner Linie? Fragen über Fragen rund um die Oberengadiner Unterwasserbäume, die allesamt noch wissenschaftlich zu klären wären.
In der ans Referat anschliessenden Fragerunde bestätigte Christian Schlüchter das Vorkommen von Unterwasserbäumen auch im St. Moritzer- und im Champfèrersee. Diese seien aber noch nicht untersucht worden. Auch sei es wahrscheinlich, dass der eingesunkene Boden neben einem Haus in S-chanf auf darunterliegenden Karst zurückzuführen sei. Und ja, auch ein erneutes, rapides Absinken der Oberengadiner Seespiegel wäre aus dieser Optik heraus durchaus denkbar.
Auf die Publikumsfrage, warum nirgends etwas Schriftliches vorliege, antwortete Schlüchter, er selber habe nichts weiter gefunden als möglicherweise darauf hindeutende Flurnamen wie «Plan di mort» oder «Selva plana». Es sei wohl einfach noch nicht genau genug danach gesucht worden und schon gar nicht auf wissenschaftlich fundierter Basis.

Autorin: Katharina von Salis