«Falls du zufälligerweise am Wochenende in der Nähe eines Gewässers sein solltest, könntest du vielleicht auf den Auslöser drücken? Du weisst, die Saison startet.» Damit meinte mein Chef: Bringst Du bitte ein, zwei brauchbare Bilder und einen netten kleinen Text zum Start in die Fischereisaison in die Redaktion? Fotografieren geht ja, aber ich und schreiben übers Fischen? Ohne Zweifel kann ich ein Fischstäbchen von einem weissen Hai unterscheiden, und ich weiss, dass man mit Würmern und Fliegen versucht, einen Fisch an den Haken zu bekommen. Das war’s dann aber auch mit meiner Kompetenz.
Im Rahmen der seriösen Vorbereitung des mir übertragenen Auftrages kann mir leider auch Wikipedia nicht wirklich weiterhelfen: «Fische bilden keine geschlossene Abstam-mungsgemeinschaft in der biologischen Systematik, sondern ein paraphyletisches Taxon», ist da zu lesen. Na bravo. Falls mir einer aus der Fischergilde, die ich mit der Kamera ins Visier nehmen will, etwas über dieses «Taxon» vorplöffen will, werde ich mit allerfeinstem Fotografenlatein mit der «hyperfokalen Distanz» zu punkten wissen. Voilà.
Am Flaz oberhalb von Pontresina (Tipp vom Chef übrigens, der selber fischt und Gerüchten zufolge jeden Fisch in den Oberengadinern Gewässern mit Vornamen kennt) entdecke ich am frühen Samstagmorgen nach einer längeren Suche tatsächlich einen einsamen und erbärmlich frierenden Fischer.
Während ich mich meinem «Opfer» unauffällig robbend durch die Uferböschung nähere, fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Diese Gemeinsamkeiten der Fischer und der Fotografen nämlich. Beide sind wir früh am Tage unterwegs, beide frieren wir, beide sind wir auf der Pirsch und auf Jagd sozusagen, und vermutlich sind wir auch beide von der liebenden Frau mit den Worten «... ich bleibe lieber zuhause an der Wärme und will dich bei deinem geliebten Hobby auf gar keinen Fall stören ...» verabschiedet worden. Nicht gut ankommen soll bei den Kollegen der Petri-Heil-Fraktion übrigens die Frage der Angebeteten: «Was meinst du, was du heute fangen wirst? Kann ich die Nachbarn zum Fischessen einladen?»
Beide sind wir auf der Pirsch ausser-dem Einzelgänger. Falls wir aber doch mal ausnahmsweise einen Artgenossen antreffen, wird fröhlich gefachsimpelt und selbstverständlich ordentlich ob der nicht überprüfbaren Erfolge geprahlt. Bei meiner Fahrt kreuz und quer durch das Tal fallen mir noch andere Gemeinsamkeiten auf. Die Kleidung zum Beispiel: Naturtöne überwiegen, und die Westen. Wir tragen die gleichen. Tausend Taschen, und immer fummelt man in der falschen nach dem Gesuchten. Was sich in meinen Taschen so alles angesammelt hat, will ich an dieser Stelle lieber nicht verraten …
Apropos: Keiner der befragten Fischer wollte über seine Fangerfolge berichten. Das sei geheim und dürfe nicht in die Zeitung. Meine Fahrt zurück bringt mich an einen kleinen Seitenarm des Inns. Ich versuche mein Glück. Und binnen Minuten hab ich eine schöne Seeforelle am Haken. Nur am fotografischen Haken natürlich. Wo ich die erwischt habe, möchten Sie jetzt gerne wissen. Sorry, hab ich leider vergessen.