Nach einer rund achtstündigen Verhandlung, gefolgt von einer mehrstündigen Urteilsberatung hat das Regionalgericht Prättigau/Davos gestern Freitagvormittag sein Urteil eröffnet. Der im Rahmen des privaten Eheschutzverfahrens der Eheleute Quadroni angeklagte Einzelrichter Orlando Zegg ist vom Vorwurf des Amtsmissbrauchs freigesprochen worden. Die Vizepräsidentin des Gerichts, Patrizia Winkler, sprach von einem «aussergewöhnlicher Fall», der zu beurteilen gewesen wäre. Auch, weil es zu den Zegg gegenüber vorgeworfenen Punkten viele unterschiedliche Lehrmeinungen gebe. Zegg habe sich bei seinen Entscheidungen auf die eine oder andere stützen müssen. Er sei dabei aber nie der Willkür verfallen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Zegg sowohl in objektiver wie auch in subjektiver Hinsicht kein Straftatbestand nachgewiesen werden kann. Bei seinen Überlegungen habe das Kindswohl im Mittelpunkt gestanden. Das erstinstanzliche Urteil ist noch nicht rechtskräftig und kann innert dreissig Tagen angefochten werden. 

Der Rechtsanwalt von Orlando Zegg, Stefan Metzger, lobte das Gericht nach der Urteilsverkündung. Dieses habe eine tadellose, sehr ausführliche Begründung abgegeben und sich sehr grosse Mühe gegeben, das Verfahren ganz genau nach juristischen Gründen abzuhandeln. Die Privatklägerschaft wollte keine Stellung nehmen, siehe auch Artikel auf der ersten Seite. 

Beim Prozess, welcher am Donnerstag begann, ging es im Wesentlichen um die Frage, ob Orlando Zegg, der am Regionalgericht Engiadina Bassa/Val Müstair als Gerichtspräsident wirkt, als Einzelrichter im privaten Eheschutzverfahren zwischen Adam Quadroni und seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau seine Amtsgewalt missbraucht habe. Dies, um Quadroni in eine schlechtere Position im Sorgerechtsstreit zu bringen. Streitpunkt waren die persönlichen Gegenstände der Kinder und der Ehefrau, die Quadroni auf Anordnung von Zegg im Spätherbst 2017 herauszugeben hatte. Die Kinder wollten laut der Verteidigung ihre Spielsachen, warme Kleider und Schulsachen am neuen Wohnort haben. Zudem vermissten sie ihre Hasen. 

Quadroni erhob gegen diesen Entscheid beim Kantonsgericht Berufung. Dieses teilte am 16. November 2017 mit, dass der vorinstanzliche Entscheid zwar vollstreckbar, aber wegen der Berufung nicht in Rechtskraft erwachsen sei, weshalb der Termin der Herausgabe noch nicht feststehe. Zegg erliess einen Tag später einen superprovisorischen Entscheid, welcher Quadroni verpflichtete, die Gegenstände umgehend herauszugeben. Die Kantonspolizei rückte mit sieben Mann an und sorgte dafür, dass die Ehefrau Quadronis Zugang zum Haus erhielt. Da Quadroni gemäss Anklageschrift seine Opposition gegen dieses Vorgehen «unmissverständlich, aufwieglerisch und provokativ zum Ausdruck brachte», wurden er und seine Schwester in Handschellen gelegt. 

Wie der Anwalt von Quadroni, Matthias Brunner, in seinem Plädoyer sagte, hat Richter Zegg mit seinem Vorgehen elementare Verfahrensgrundsätze missachtet. Die Verhältnismässigkeit des Einsatzes sei nicht gegeben gewesen, sein Mandant massiv in seinen Grundrechten verletzt worden. «Orlando Zegg griff zum schärfsten Schwert, welches ihm zur Verfügung stand», sagte er und sprach vom dem von Zegg angeordneten Polizeieinsatz als «paramilitärisch anmutende Aktion.» Eine Aktion, die an die Festnahme und Überführung Quadronis in die psychiatrischer Anstalt nach Chur nur ein paar Monate vorher erinnere. Erneut sei nicht vorabgeklärt worden, erneut seien keine milderen Mittel geprüft worden, wiederum habe es keine Anhörung gegeben, sei ein Grossaufgebot der Polizei erfolgt und die Rechte, Würde und Privatsphäre von Quadroni mit den Füssen getreten worden. «Und das immer unter dem scheinheiligen Vorwand, es gehe um die Interessen der Kinder.» Der Verteidiger sprach von einem im Voraus abgesprochenen Schlachtplan, der es der Frau und den Kindern erlaubt habe, das Haus mit Sack und Pack zu verlassen. Kurz: «Der Amtsmissbrauch ist in jeder Hinsicht exemplarisch erfüllt.»

Adam Quadroni wurde während der Verhandlung auf Antrag seines Anwaltes vom Gericht als Auskunftsperson befragt. Er sagte, dass er bei den wenigen erlaubten Besuchen seiner Kindern immer ein Auto voll mit persönlichen Gegenständen mitgebracht habe. Sachen, die die Kinder gewünscht hätten oder solche, von denen er ausgegangen sei, dass sie Freude daran hätten. 

Demgegenüber betonte der Verteidiger des Angeklagten, dass Orlando Zegg seine Richterpflichten wahrgenommen und all seine Entscheide immer im Interesse der Kinder gefällt habe. «Er hatte nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Kinder zu ihren persönlichen Sachen kommen.» Hätte der Richter nicht den superprovisorischen Entscheid erlassen, hätten die Kinder erneut wochenlang oder sogar Monate auf ihre Sachen warten müssen. Alle Handlungen von Zegg würden auf gesetzlichen Grundlagen beruhen. Auch der Auftrag an die Polizei. «Es gibt Situationen, wo man die richterliche Autorität spielen lassen und auch mal härter eingreifen muss.» Es sei bei der Rechtsprechung nicht so, dass man einfach Daten in den Computer füttere und dieser dann ein Urteil ausspucke. «Ein Richter ist kein Rechtsautomat», sagte Metzger. 

Der Strafbestand des Amtsmissbrauchs könne zudem gar nicht geltend gemacht werden, weil dafür nur Beamte und Behördenmitglieder zur Rechenschaft gezogen würden. Zegg sei keines von beidem, er habe als Richter gehandelt und es handle sich um die Rechtsprechung seines Mandanten. Diese Rechtsprechung falle nicht unter den Strafbestand des Amtsmissbrauchs. «Wenn so ein Fall Schule machen würde, gäbe es bald keine jungen Anwälte mehr, die sich für ein Richteramt interessieren.» Deshalb ist für Metzger das Urteil auch wegweisend. 

Das, was sich in diesem Eheschutzverfahren abgespielt habe, habe er in seiner langjährigen Tätigkeit als Prozessanwalt, in der er auch viele Familienrechtsprozesse geführt habe, noch nie erlebt. Seit Juli 2017 sei das Regionalgericht Engiadina Bassa/Val Müstair fast täglich mit Prozesseingaben eingedeckt worden. Ein Gericht notabene, welches über einen vollamtlichen Richter und eine Gerichtsaktuarin mit juristischem Hintergrund verfüge. Da hätten Entscheide oft in kurzer Zeit gefällt werden müssen, die Belastung sei enorm gewesen.

Rechtsanwalt Matthias Brunner konterte, dass diese Aussage die Argumentation der Anklage stütze. Wenn das Regionalgericht innerhalb einer halben Stunde haben entscheiden müssen, sei das unüberlegt erfolgt. «Da wurde im Hauruck-Verfahren entschieden», so Brunner. 

Mit der Untersuchung dieses und anderer Fälle in der Causa Quadroni hat die Bündner Regierung den ausserordentlichen Staatsanwalt Urs Sutter aus Zug beauftragt. Er war es, der die Anklageschrift beim Regionalgericht deponiert hatte. Am Prozess selbst vertrat Sutter die Anklage jedoch nicht selber. Die Vizepräsidentin des Regionalgerichts Prättigau/Davos verlas über eine Stunde lang einen Schlussbericht, welcher einem mündlichen Plädoyer gleichgestellt sei.

Orlando Zegg berief sich bei seiner Einvernahme am Donnerstag auf das Aussageverweigerungsrecht, er beantwortete keine Fragen. In seinem Schlusswort sagte er, dass das ganze Strafverfahren bereits vier Jahre dauere und dieses ihn und seine Familie schwer belaste. Dass er bestraft werden soll, weil er sich für das Kindeswohl eingesetzt habe, könne er nicht nachvollziehen, er habe ein reines Gewissen.

In Klosters waren neben einigen Interessierten auch ein rundes Dutzend Medienschaffende anwesend. Dies, obwohl es im Grundsatz um ein privates Eheschutzverfahren ging. Das grosse Interesse lässt sich damit erklären, dass die Namen Adam Quadroni und Orlando Zegg unweigerlich mit dem Bündner Baukartell in Verbindung gebracht werden. Quadroni ist der Whistleblower, welcher das Kartell hat auffliegen lassen, Zegg wird in verschiedenen Medienberichten Nähe zum Baukartell vorgeworfen. In der Anklageschrift wird dezidiert festgehalten, dass die gesamte Strafuntersuchung keine erhärteten Hinweise dahingehend geliefert habe, dass sich Orlando Zegg direkt oder indirekt aus den Kreisen des Baukartells hätte instrumentalisieren oder steuern lassen.

Autor: Reto Stifel

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