Der S-chanfer Gemeindepräsident Riet Campell erinnert sich gut an die Zeit, als Soldaten während ihrer Truppenkurse im Flablager noch das Dorfbild prägten. Während des Ausgangs waren die «Traube», das «Scaletta» und «Sternen» gut besuchte Restaurants. Sei es, um etwas zu trinken oder auch einmal während der Woche beim fakultativen Ausgang zu einem Nachtessen. Tempi passati. Die drei Beizen sind alle verschwunden, übrig geblieben ist einzig das La Veduta in Cinuos-chel. Die Truppenkurse sind weniger geworden, und auch das Ausgangsverhalten hat sich im Zeitalter der sozialen Medien verändert. Viele AdA (Angehörige der Armee) bleiben heute lieber in der Truppenunterkunft und widmen sich dort dem Handy oder dem Laptop anstatt in die Oberengadiner Gemeinden in den Ausgang zu gehen.

Die Armee als Tour Operator
Dabei hätten die AdA durchaus touristisches Potenzial, ist Marc Woodtli, Leiter Produktentwicklung bei Graubünden Ferien (GRF) überzeugt. Rund 250 000 Logiernächte generieren die Soldaten im Kanton Graubünden pro Jahr. «Die Armee ist einer der grössten Tour Operator, die wir haben, jedem anderen hätte man schon lange den roten Teppich ausgelegt», sagte Woodtli anlässlich der Präsidentenkonferenz der Region Maloja im vergangenen November. Am Beispiel eines vierwöchigen WK in Schiers während dem letztjährigen WEF, untermauerte er seine Aussagen mit Zahlen. Gut 100 000 Franken direkte Wertschöpfung brachten die Übernachtungen, der Einkauf von Lebensmitteln und die Ausgaben während des Ausgangs ein. «Vor allem aber sind das 150 neue, potenzielle Gäste, die später für Ferien wieder in die Region zurückkehren könnten.»
GRF hat das Institut für Tourismus und Freizeit (ITF) der Fachhochschule Graubünden beauftragt, den Bedarf der AdA an Freizeit- und touristischen Angeboten zu analysieren. In den vergangenen Wochen wurden die Resultate anlässlich einer Roadshow den Regionen und Destinationen präsentiert. Gemäss Woodtli sind die Ergebnisse sehr gut aufgenommen worden. «Wichtig für uns war, dass alle Interessengruppen einbezogen waren. Eine ganzheitliche Betrachtung der Situation ist entscheidend für die Angebotsgestaltung und die Kommunikation», sagt Woodtli.

Infrastruktur muss stimmen
Die Umfrage bei den AdA hat ergeben, dass sich diese für diverse sportliche und kulturelle Aktivitäten interessieren. «Solche Angebote könnten neu geschaffen werden, müssen jedoch den Rahmenbedingungen der Armee entsprechen», betont Woodtli. Wenn das gelingt, sieht er durchaus die Möglichkeit, mehr Wertschöpfung für die Region zu erzielen, und das schon während dem Truppenkurs. «Mangels Alternativen bleibt heute im Ausgang oft nur die Möglichkeit, ein Bier trinken zu gehen.»
Gerade Soldaten, die eine lange Zugfahrt vor sich haben, wären durchaus bereit, am Wochenende nicht nach Hause zu fahren und die Angebote an ihrem WK-Standort zu nutzen, sofern die Infrastrukturen und Bedingungen stimmen. Dafür benötigten sie Dienstleistungsangebote sowie die Möglichkeit, Material zu mieten oder einen Wäscheservice. Wichtig sei auch die frühzeitige Kommunikation seitens der Armee, sodass beispielsweise die Wintersportausrüstung in den Truppenkurs mitgenommen werden kann.
Die Analyse hat weiter ergeben, dass der Kanton noch mehr Truppenkurse durchführen könnte. Auch da sind gemäss Woodtli alle gefordert, die mit der Armee Kontakt haben. Letztlich gehe es darum, sich als interessanter Standort gegen andere Regionen in der Schweiz durchsetzen zu können. Er nimmt noch einmal das Beispiel der Armee als Tour Operator und des AdA als Gast. «Wenn sich der Gast willkommen und wohlfühlt, will er wiederkommen und der Tour Operator wird die Region in seinem Portfolio behalten.»

«Spannende Nische»
Riet Campell sieht das Potenzial vor allem in den Armeeangehörigen, die später als Gäste zurückkehren. «Dafür aber braucht es gute Angebote, die professionell vermarktet werden», sagt er.
Jan Steiner, Brand Manager der Engadin St. Moritz Tourismus AG, spricht von einer «spannenden Nische.» «Gut ist, dass das Potenzial angeschaut wird, und zwar über den ganzen Kanton unter der Federführung von Graubünden Ferien.»
Er gibt zu bedenken, dass die Einsätze zugunsten eines Grossanlasses wie beispielsweise den Ski-Weltmeisterschaften, der Weltcup-Rennen oder des WEF oft schon in einem touristischen Kontext stehen würden. «Auch diese Einsätze generieren Logiernächte und mögliche zukünftige Gäste. Hier funktioniert die Angebotsgestaltung für die Armeeangehörigen bereits sehr gut», pflichtet Woodtli bei. Graubünden Ferien habe mit der Erarbeitung der Bedarfsanalyse und deren Präsentation anlässlich der Roadshow die Grundlagen geschaffen. «Auf diesen können nun die einzelnen Regionen aufbauen.»

Autor: Reto Stifel