Daniel Godli ist Chef der Wildhüter in den Jagdbezirken 7 und 8, das heisst, im Oberengadin und im Bergell. Er spricht von einem strengen und speziellen Winter. «Im Vergleich zum Januar hat sich die Situation aber etwas entspannt, weil es wärmer geworden ist», sagt Godli. Was oft vergessen gehe, sei, dass neben der Schneemenge auch die Kälte den Tieren stark zusetzen könne. Positiv für das Wild seien die teils stürmischen Winde. Zum einen oberhalb der Waldgrenze, wo an exponierten Stellen der Schnee weggetragen wird, was die Futtersuche erleichtert (siehe Artikel zu den Rehen am Julierpass auf dieser Seite). Zum anderen aber auch im Wald. «Durch den Wind fallen Flechten und letztjährige Triebe von den Bäumen, was willkommenes und nahrhaftes Futter ist.»

Kontraproduktive Notfütterungen
Die Schneemassen schränken primär das Nahrungsangebot der Rehe und Hirsche ein. Die Auswirkungen des strengen Winters auf die Gemskitze werden sich gemäss Godli erst im Frühjahr zeigen. Auf Notfütterungen, wie sie in besonders harten Wintern durch die Wildhut auch schon durchgeführt worden sind, wurde laut Godli bis jetzt in Absprache mit den verschiedenen Behörden verzichtet. Er beobachte, dass sich seit Einführung des allgemeinen Fütterungsverbotes das Wild in den Wäldern viel besser verteilt. Bei Notfütterungen müsse man sich für wenige Futterplätze entscheiden. Das wiederum würde die Tiere stresse, weil sie, um an diese Plätze zu gelangen, weite Wege zurücklegten und sich dadurch zusätzlich schwächen. Und noch eine interessante Beobachtung hat Godli gemacht: «In diesem strengen Winter haben wir bis jetzt sehr tiefe Fallwildzahlen, dies im Vergleich zu früher, als die Fütterungen noch erlaubt waren.»

Wichtige Wildruhezonen
Für Godli ist darum klar: «Das A und O, damit das Wild gut durch den Winter kommt, ist Ruhe.» Das wiederum bedeutet, dass Wintersportler, seien es Schneeschuhwanderer, Skitourengänger oder Freerider unbedingt die ausgeschiedenen und markierten Wildruhezonen beachten sollten. «Das sind sehr wichtige Gebiete, in die sich die Tiere zurückziehen können, um Ruhe zu finden.» Dass die Vorschriften nicht immer beachtet werden, müssen Godli und seine Kollegen gerade in diesem Winter – wo aufgrund von Covid-19 viel mehr Wintersportler in der Natur unterwegs sind – immer wieder feststellen. Oft aus Unwissen, aber teilweise auch ganz bewusst, würden solche Schutzgebiete betreten werden. Seit dem letzten Jahr können die Wildhüter dafür direkt eine Ordnungsbusse von 150 Franken aussprechen. Dies sei im Vergleich zu früheren Jahren in diesem Winter deutlich öfter passiert, so Godli. «Das freut uns nicht, und wir stellen auch nicht gerne Bussen aus. Uns geht es einzig um das Wohl des Wildes und darum, dass dieses seine Ruhe findet und nicht unnötig Energie verbraucht», sagt er.
Dass das Wild in harten Wintern auf der Suche nach Nahrung bis in die bewohnten Gebiete vorstösst, käme immer weniger vor. Weil beispielsweise die Gemeinden ihre Grüngut-Sammelstellen viel besser schützen, aber auch, weil Landwirte und Private stärker auf dieses Thema sensibilisiert sind. Sollte sich doch ein Hirsch in den Garten verirren, gilt auch hier: Auf keinen Fall füttern. Wenn sich die Tiere an ein Futterangebot gewöhnen, kommen sie immer wieder und verbrauchen dafür viel Kraft.

Eigenverantwortung vor Verboten
Einschätzungen, die Godlis Wildhüterkollege Guolf Denoth, verantwortlich für den Bezirk Unterengadin/Val Müstair, teilt. Zusätzlich hat er in den Wäldern in seiner Region viel Fallholz, das auf den ersten Schneefall im Dezember zurückzuführen ist, festgestellt. «Das ist zwar nicht die optimale Nahrung für das Wild, bringt aber trotzdem eine gewisse Entlastung.» Im Gegensatz zu seinen Kollegen im Oberengadin hat er bisher keine Ordnungsbussen wegen Missachtung der Wildruhezonen ausstellen müssen. Allerdings beobachte man die Situation mit den Sportferien, die jetzt starten, sehr genau. «Wir haben zusammen mit den Gemeinden bereits temporäre Wildruhezonen ausgeschieden, welche wir bei Bedarf von heute auf morgen in Kraft setzen könnten.» Wie Daniel Godli möchte aber auch Denoth mit möglichst wenig Verboten auskommen. «Wir wollen nicht alles unter Schutz stellen und verstehen die Leute, die das Erlebnis in der Natur suchen.» Er appelliert an den gesunden Menschenverstand. Auch wenn man ausserhalb der Wildruhezonen unterwegs sei, bedeute das nicht, dass jeder eine neue Spur ziehen müsse. «Wenn sich die Leute an die bestehenden und markierten Trails halten, ist dem Wild schon sehr viel geholfen.»

Informationen zum Verhalten abseits von Loipen und Pisten sowie zu den Wildruhezonen gibt es sehr viele. Zum Beispiel: www.wildruhezonen.ch

Die vier wichtigsten Regeln
Wildruhezonen und Wildtierschutzgebiete beachten: Sie bieten Wildtieren Rückzugsräume.
Im Wald auf Wegen und bezeichneten Routen bleiben: So können sich Wildtiere an den Menschen gewöhnen.
Waldränder und schneefreie Flächen meiden: Sie sind die Lieblingsplätze der Wildtiere.
Hunde an der Leine führen, insbesondere im Wald: Wildtiere flüchten vor frei laufenden Hunden.

Autor und Foto: Reto Stifel