Engadiner Post: Talina Gantenbein, Sie sind in Scuol aufgewachsen. Bis zur 6. Klasse sind Sie dort zur Schule gegangen. Wie ging es dann weiter?
Talina Gantenbein: Ich besuchte in Ftan für zwei Jahre das Hochalpine Institut und beendete dort das 7. und 8. Schuljahr, bevor ich den Wechsel nach Davos ans Sport-Gymnasium in Betracht zog. Also meldete ich mich für die Aufnahmeprüfung an, bestand sie und zog nach Davos.

Sie haben sich damals nicht als Skicrosserin für das Sport-Gymnasium angemeldet ...
Richtig, ich war Skirennfahrerin. Eigentlich lief auch alles sehr gut; die Resultate stimmten, ich hatte Freude am Sport, gute Teamkolleginnen. Aber irgendetwas fehlte mir.

Wie haben Sie das herausgefunden?
Dank einer Freundin bekam ich die Sichtungstage in Saas-Fee mit. Wie der Name schon sagt, werden an diesen Tagen potenzielle Athletinnen und Athleten von den Skicross-Trainern gescoutet. Hier hast du die Chance, einen Platz im Skicross-Team zu ergattern. Also meldete ich mich im Jahr 2015 mit 17 Jahren an und nahm an den Tagen teil. Das hat mir sofort den Ärmel reingenommen, denn ich war schon als Kind immer interessiert, an anderen polysportiven Bereichen. Ich boxte meinen Willen durch, und so wurde der Wechsel von Ski Alpin zu Skicross Tatsache.

Und dann ging es Schlag auf Schlag weiter.
2016 durfte ich bereits an den Youth Olympic Games antreten – und konnte direkt eine Goldmedaille feiern. Im Nachhinein betrachtet war das ein super Einstieg und bestätigte mich auch in meiner Entscheidung des Sportartwechsels.

Also haben Sie diese Entscheidung nie bereut?
Nein, ich bereue den Wechsel gar nicht. Im selben Jahr, als ich Jugend-Olympiasiegerin wurde, beendete ich als Dritte die Europacup-Gesamtwertung, nahm am ersten Weltcup teil und kam dort eine Runde weiter. Es passierten früh motivierende und gute Dinge, die mich in meiner Entscheidung bestätigten. Jeder sah, dass es richtig war, was ich machte und wie ich mich entschied. Ich bin froh, dass ich damals meinem Gefühl folgte und den Mut hatte, zu wechseln.

Wirft man einen Blick auf Ihre Biografie, sticht das Jahr 2018 besonders heraus. Sie haben mit 19 Jahren an Ihren ersten Olympischen Spielen in Südkorea teilgenommen und den 12. Rang belegt. War das entscheidend?
Ja, das war ein wichtiges Jahr. Sportlich gelang mir mit dem 12. Rang ein starkes Rennen an den Olympischen Spielen und ich durfte mit dem Weltcup-Team unterwegs sein – und im schulischen Bereich schloss ich die Handelsschule ab. Danach konzentrierte ich mich im Sommer vor allem auf die Wintervorbereitung und begann, mit den Bündner Jungs im Rotor in Balzers zu trainieren. Die beiden Trainings pro Tag sowie die einstündige Anreise von Davos nach Balzers füllten meinen Tag schon sehr aus.

Seit Ihrem ersten Weltcup-Podestplatz 2020 in Arosa reiten Sie auf der Erfolgswelle und sind mitten in der Weltspitze angekommen. In Idre Fjäll konnten Sie einen weiteren Podestplatz feiern. Gibt es auch die nachdenkliche Talina Gantenbein?
Ich hatte besonders in der vergangenen Saison zu kämpfen, weil ich oft in der Qualifikation hängenblieb. Während meiner Militärzeit in Magglingen trainierten wir Entspannungsübungen, was mir enorm viel brachte. Ich kann die Übungen bewusst dann einsetzen, wenn ich sie brauche. Das sind vor allem Situationen vor den Rennen, wenn ich Ruhe reinbringen muss, die man gut und gerne vor dem hektischen Renntag verliert.

Wie gehen Sie mit dem öffentlichen Interesse an Ihrer Person um?
(überlegt) Grundsätzlich bin ich eine aufgeschlossene, kommunikative Person und bin für jeden «Seich» zu haben. Aber ich mag es nicht, wenn die gesamte Aufmerksamkeit lange auf mich gerichtet ist. So ist es auch im privaten Umfeld – wenn ich meine Freunde sehe, möchte ich nicht immer über den Sport sprechen.

Das Training und die Wettkämpfe bestimmen Ihren Kalender. Was machen Sie in Ihrer Freizeit?
(Lacht) Schule! Ich habe im August 2019 die zweijährige Berufsmaturität begonnen und schliesse im Mai ab. Danach könnte ich mir ein Fernstudium vorstellen, aber da habe ich mich noch nicht festgelegt. Auf jeden Fall blicke ich auf lustige Szenen zurück, die ich in den letzten zwei Jahren erlebte: Während den Wettkämpfen bekam mein Trainer, Enrico Vetsch, die Prüfungen zugeschickt und musste mich jeweils während den Prüfungen beaufsichtigen.

Mit Fanny Smith haben Sie eine der weltbesten Skicrosserin im Training an Ihrer Seite. Was können Sie von der 27-fachen Weltcup-Siegerin lernen?
Vor allem der Austausch vor dem Start ist elementar wichtig; sprich, welche Taktik du anwendest, wie du über diesen Doppelsprung springst. Solche Diskussionen helfen mir enorm, und ich kann dadurch viel lernen und profitieren. Speziell vergangenen November in Laax haben wir viel zusammen trainiert. Bei diesem direkten Vergleich habe ich bemerkt, dass ich gleich schnell bin wie Fanny, was mir natürlich Sicherheit gab.

Und genau diese Sicherheit konnten Sie dann in Arosa abrufen, als Sie zum ersten Mal auf das Weltcup-Podest gefahren sind.
Genau, dort platzte endlich der Knoten. Ich fühlte mich bereit und war perfekt vorbereitet. Ich wusste, dass ich schnell sein kann, wenn alles gut ist. Leider lief das erste Rennen nicht wie gewünscht, aber beim zweiten passte alles zusammen. Das fühlt sich super an, wenn du in einen Flow, einen Tunnel kommst und es Heat für Heat funktioniert – dann bist du «unstoppable» und du weisst, dass es heute aufgeht.

Am 13. Februar finden im schwedischen Idre Fjäll die Weltmeisterschaften statt. Für Sie wird es die erste Teilnahme an Titelkämpfen sein. Stimmt das zuversichtlich, dass Sie an ebendiesem Ort im Januar einen Podestplatz feiern durften und beim letzten Rennen im grossen Finale mitfahren konnten?
(Lacht) Das realisierte ich ebenfalls erst vor Kurzem, dass dies ja meine ersten Weltmeisterschaften sind. Aber ja, das fühlt sich beruhigend an, wenn du weisst, was auf dich zukommt. Du kennst den Ort, die Strecke, das Renngelände, du weisst, wo du wohnst. Das sind alles kleine Dinge, die mir Sicherheit und Zuversicht geben. Denn ich weiss, dass ich diese Strecke gut und vor allem schnell fahren kann. Aufgrund der Topografie kann die Strecke nicht gross verändert werden, vielleicht der Start. Auf jeden Fall musst du einfach Gas geben – vor allem auf der langen Schlussgeraden fallen die Entschei-dungen.

Und wo sehen Sie sich im WM-Schlussklassement?
Du hast nur eine Chance, alles entscheidet sich an einem Tag. Mein Ziel wäre im Minimum ein Ergebnis unter den besten Acht.

Interview: Swiss-Ski